I. Kein Genehmigungserfordernis
Rz. 3
Nach der Deregulierung im Versicherungswesen kann jedes Versicherungsunternehmen eigene AVB formulieren und auf den Markt bringen. Die AVB unterliegen nicht mehr der Vorabgenehmigung durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen. Dies hat den Wettbewerb in allen Versicherungszweigen weiter intensiviert, so auch in der Versicherung für Anwälte und Notare, wobei sich der Wettbewerb im Bereich der Pflichtversicherung mehr auf die Prämienseite und nicht so sehr auf die Bedingungsseite fokussiert. Hier sind die AVB der einzelnen Versicherungsunternehmen inhaltlich sehr ähnlich, was im Wesentlichen daran liegen dürfte, dass die gesetzgeberische Ausgestaltung der anwaltlichen Berufshaftpflichtversicherung als Pflichtversicherung (vgl. § 18 Rdn 1) nahezu die gesamte berufliche Tätigkeit des Rechtsanwalts einschließt, sodass die Versicherer auf der Bedingungsseite nur sehr wenig Spielraum für unterschiedliche Deckungskonzepte haben.
Die Regelungen der AVB HV 60/07 der Allianz Versicherung, die den nachfolgenden Ausführungen exemplarisch zugrunde gelegt werden, enthalten zunächst einen Allgemeinen Teil über die Reichweite des Versicherungsschutzes, den Versicherungsfall, Obliegenheiten etc. (Teil 1.1). Diese Regelungen gelten für sämtliche angesprochenen Berufszweige. Das gleiche gilt für Teil 1.2, der Erweiterungen des Versicherungsschutzes in Bezug auf die Ein- und Austrittshaftung und die akzessorische Haftung für berufsfremde Tätigkeiten enthält. Im Teil 2 folgen dann die für die Rechts- und Patentanwälte maßgeblichen Sonderbestimmungen; Teil 3 beinhaltet die Spezialregelungen für die Steuerberater, Teil 4 die der Wirtschaftsprüfer und der vereidigten Buchprüfer. Teil 5 beschreibt die Bürohaftpflichtversicherung, die wieder für sämtliche Berufsträger gleichermaßen gilt und Sach- und Personenschäden in bestimmtem Umfang in den Versicherungsschutz integriert, sofern dies explizit vereinbart wurde. Textangaben aus Teil 1 werden nicht als solche kenntlich gemacht, wohl aber aus den übrigen Teilen.
Für jeden einzelnen Versicherungsfall ist jedenfalls die genaue Vorprüfung unabdingbar, welche Versicherungsbedingungen für den jeweiligen Versicherungsfall maßgeblich sind. Das hängt wiederum davon ab, wann der Verstoß (vgl. § 18 Rdn 96) stattfand und welche versicherungsvertraglichen Grundlagen zu diesem Zeitpunkt galten.
II. Verhandelbarkeit der AVB
Rz. 4
Die AVB sind im Wesentlichen nicht verhandelbar, sofern sie den gesetzlichen Vorgaben für die Pflichtversicherung folgen müssen. Das schließt aber nicht aus, dass im einen oder anderen Fall doch einzelne Regelungen innerhalb der von § 51 bzw. § 51a BRAO vorgegebenen Grenzen zugunsten des Versicherungsnehmers anders vereinbart werden können. Welche Änderungen in Betracht kommen, hängt vom Bedürfnis des einzelnen Anwalts ab, das er vor Abschluss des Vertrages prüfen sollte.
III. Auslegung der AVB
Rz. 5
Die Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen geschieht nach heute herrschender Meinung nicht mehr nach den Regeln der Gesetzesauslegung. AVB sind so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es im Allgemeinen auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an. Ist Adressat der AVB eine bestimmte Gruppe von Versicherungsnehmern, kommt es auf das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers dieser Gruppe an. Das bedeutet bei den AVB für Anwälte, dass auch Rechtskenntnisse vorausgesetzt werden können, in deren Licht die AVB auszulegen sind. Indessen sind die Kenntnisse und Verständnismöglichkeiten des einzelnen Vertragspartners irrelevant.