Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
a) Grundlagen der Vertragsfreiheit im Verhältnis zur AGB-Kontrolle
Rz. 691
Die Privatautonomie auch im Arbeitsrecht ist vom Grundrechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 GG umfasst. Dies garantiert auch die Abschlussfreiheit und vor allem auch die Inhaltsfreiheit bei Arbeitsverträgen. Wer in den Vertrag eingreift, diesen ausgestaltet, dadurch Privatautonomie beeinträchtigt, braucht im Rechtsstaat eine Legitimationsgrundlage. Es geht damit auch um die Selbstbestimmung des Einzelnen im Arbeitsleben (BVerfG v. 7.2.1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242; BVerfG v. 6.2.2001, BVerfGE 103, 89).
Rz. 692
Dagegen ist für das AGB-Recht für Arbeitsverträge auf folgenden Zusammenhang hinzuweisen: Die Einigung der Vertragsparteien selbst führt nicht mehr zu einer vertraglichen Bindung, sondern diese Einigung muss vor dem Hintergrund des staatlichen Rechtes, insb. des AGB-Rechts Anerkennung finden. Es geht dabei um den Schutz der Privatautonomie durch richterliche Kontrolle. Die absolute Vertragsfreiheit zu garantieren, jeden Vertrag für wirksam zu erachten, würde dazu führen, dass der wirtschaftlich oder aber sonst wie Überlegene seine Interessen einseitig durchsetzen könnte. Damit ist die Zielrichtung der Selbstbestimmung und Privatautonomie im Verfassungsrecht herausgearbeitet. Es geht um den Schutz der gegenseitigen Einwirkung zu einem ausgeglichenen Vertrag hin (hierzu Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn 8 ff.). Allein der rechtsgeschäftliche Wille der Parteien eines Arbeitsvertrages garantiert nicht die Angemessenheit des Vertrages. Auf der anderen Seite wissen die Parteien eines Vertrags am besten, was sie wollen, und wofür sie bereit sind, eine Gegenleistung zu geben. Deswegen kommt dem Willen der Vertragsparteien eine Indizfunktion für einen angemessenen Ausgleich zu. So gesehen wird Rechtssicherheit und Verlässlichkeit bei der Vertragsdurchführung gefördert und geschützt. Dies bedeutet unter ethischen Gesichtspunkten zugleich die Legitimation für die Einklagbarkeit des Inhaltes des Vertrages. Dabei geht es aber um einen die Interessen ausgleichenden Vertrag, der durch die staatliche Rechtsordnung, insb. auf der Grundlage eines Grundrechtsschutzes im Arbeitsrecht, durchgesetzt werden soll. Dies verbietet aber zugleich den Grundrechtsschutz und den Vertragsinhaltsschutz für unangemessene Verträge.
b) Anwendbarkeit des AGB-Rechts wegen gestörtem Vertragsmechanismus
Rz. 693
Ist ein Vertragsschluss von einem deutlichen Informationsgefälle oder aber auf einem intellektuellen Gefälle der Vertragspartner zueinander geprägt, so funktioniert der Vertragsschluss nicht. Wer nämlich besser informiert ist, die Bedeutung und die Rechtsfolgen eines Vertrages besser einschätzen und beurteilen kann, hat i.d.R. einen Vorteil. Weiß z.B. ein Arbeitnehmer nicht um die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seines zukünftigen Arbeitgebers, verzichtet er darüber hinaus auf den Kündigungsschutz, so liegt der Abschluss eines unangemessenen, die beiderseitigen Interessen der Vertragspartner nicht wahrenden Vertrages nahe. Wer darüber hinaus gar nicht intellektuell die Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsvertrag nachvollziehen kann, ist noch viel schutzbedürftiger. Vor diesem Hintergrund rechtfertigen sich die staatlichen Eingriffe in die Vertragsfreiheit. Es soll zu folgendem praktischen Ergebnis kommen: Der Vertragspartner soll die Chance haben, durch den Vertrag seine Interessen zu wahren (Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn 18).
Rz. 694
Eine unterschiedlich ausgeprägte wirtschaftliche Macht muss noch nicht zu einer unterschiedlichen oder gar fehlenden Verhandlungsmacht führen. Dies macht aber zugleich deutlich, dass allein ein wirtschaftliches Gefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kein Grund zur Korrektur des Vertragsinhaltes sein kann. Ein wirtschaftliches Gefälle wird vertragsrechtlich erst dann problematisch, wenn es einer Seite nicht mehr möglich ist, vom Vertragsschluss Abstand zu nehmen, wo diese Seite so darauf angewiesen ist, dass jede Vertragsbedingung akzeptiert wird. Der Gesetzgeber kann aus verfassungsrechtlichen Gründen so lange in einen Vertragsschluss und damit die wohlverstandenen Interessen der Vertragsbeteiligten eingreifen, wenn dadurch der Betroffene gehindert werden soll, sich selbst einen größeren Schaden zuzufügen (BVerfG v. 6.3.1982, BVerfGE 60, 123, 132).
c) Folgerungen für die AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht
Rz. 695
Das BVerfG geht in mittlerweile konsolidierter Rspr. davon aus, dass sich der Arbeitnehmer beim Abschluss eines Arbeitsvertrages typischerweise in einer Situation struktureller Unterlegenheit befindet (BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212, 229; BVerfG v. 28.1.1992, BVerfGE 85, 191, 213; BVerfG v. 4.7.1995, BVerfGE 92, 365, 395). Das BAG hat demgemäß angenommen, dass ungeachtet der Bereichsausnahme des § 23 AGBG a.F. Arbeitsverträge der allgemeinen richterlichen Inhaltskontrolle unterliegen (BAG v. 9.9.2003, BAGE 107, 256). Es geht dabei auch um die Grundrechtsoptimierung zweier Vertragspartner im Arbeitsleben.
Rz. 696
Andererseits war die Einbeziehung der Kontrolle von Formulararbeitsverträgen in die allgemeinen Regelungen der §§ 305 ff. BGB nicht nur ge...