Rz. 431

Auch eine lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers führt nicht automatisch zur Minderung der Gratifikation oder gar zum Ruhen eines Arbeitsverhältnisses. Ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses liegt nur dann vor, wenn die wechselseitigen Hauptpflichten (Arbeitsleistung und Vergütung) suspendiert sind und der jeweilige Gläubiger von seinem Schuldner die Erbringung der Leistung nicht verlangen und nicht durchsetzen kann, während die Nebenpflichten weiter bestehen. Bei der durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers herbeigeführten Verhinderung zur Arbeitsleistung liegt jedoch im Allgemeinen keine durchgehende wechselseitige Suspendierung der Hauptpflichten eines Arbeitsverhältnisses vor. Vielmehr handelt es sich um eine Leistungsstörung i.S.d. allgemeinen Schuldrechtes des BGB, die abweichend von den bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen der §§ 275, 326 BGB teilweise arbeitsrechtlich (§ 3 EntgFG, § 616 BGB) und teilweise sozialrechtlich (§§ 44 ff. SGB V) zugunsten des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers gesetzlich gelöst worden ist (BAG v. 11.10.1995 – 10 AZR 985/94: Metallindustrie; BAG v. 9.8.1995 – 10 AZR 539/94). Allein aus der Einstellung der Arbeit infolge dauernder Arbeitsunfähigkeit und der Einstellung der Entgeltleistung durch den Arbeitgeber kann nicht ohne weitere ausdrückliche oder konkludente Erklärungen der Parteien auf eine Ruhensvereinbarung geschlossen werden. Auch die Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit führt ohne Anhaltspunkte für eine entsprechende Vereinbarung der Parteien nicht automatisch zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses (BAG v. 8.7.1998 – 10 AZR 404/97; BAG v. 11.10.1995 – 10 AZR 985/94; BAG v. 7.6.1990 – 6 AZR 52/89).

 

Rz. 432

Allerdings nimmt das BAG an, dass ein rechtlich an sich fortbestehendes Arbeitsverhältnis tatsächlich nur noch formaler Natur und damit ein Anspruch ausgeschlossen ist, wenn nach dem Willen und den Vorstellungen beider Parteien keine rechtliche Bindung im Hinblick auf eine Wiederaufnahme des bisherigen Arbeitsverhältnisses anzunehmen ist. Davon ist nach dem BAG auszugehen, wenn ein Arbeitnehmer bei langjähriger, auf nicht absehbare Zeit fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nach Aussteuerung durch die Krankenkasse sich arbeitslos meldet und die Zahlung von Arbeitslosengeld beantragt und der Arbeitgeber auf Anfrage der Arbeitsagentur auf seine Verfügungsgewalt ggü. dem Arbeitnehmer verzichtet, um diesem den Bezug von Arbeitslosengeld zu ermöglichen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass eine Wiederaufnahme des bisherigen Arbeitsverhältnisses nicht mehr in Betracht kommt und auch die Zahlung einer Sondervergütung ausscheidet (BAG v. 15.3.2000 – 10 AZR 115/99; BAG v. 11.2.1998 – 10 AZR 264/97; BAG v. 12.11.1997 – 10 AZR 74/97; BAG v. 10.4.1996 – 10 AZR 600/95; BAG v. 28.9.1994 – 10 AZR 805/93; vgl. auch BAG v. 24.9.2003 – 5 AZR 591/02). In diesem Fall kann vermutet werden, dass die Parteien zumindest stillschweigend das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart haben (BAG v. 9.8.1995 – 10 AZR 944/94; BAG v. 28.9.1994 – 10 AZR 805/93).

 

Rz. 433

Liegt allerdings eine ausdrückliche tarifliche Regelung vor, wonach auch erkrankte Arbeitnehmer von der Gewährung einer Gratifikation nicht ausgeschlossen sind, haben auch langfristig erkrankte Arbeitnehmer, die nach Aussteuerung durch die Krankenkasse Arbeitslosengeld beziehen, Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung (BAG v. 24.1.2001 – 10 AZR 672/99; LAG Hamm v. 4.12.1998 – 10 Sa 1306/98).

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