Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 385
In Tarifverträgen sind regelmäßig die näheren Modalitäten für die zu erbringenden Sonderzahlungen oder Gratifikationen geregelt. Dazu zählen insb. die Anspruchsvoraussetzungen (z.B. Stichtags-, Wartezeitregelungen, Staffelungen nach Alter und/oder Betriebszugehörigkeit), die Höhe, Fälligkeit und Auszahlungstermin, Rückzahlungsklauseln und Gründe für die Kürzung und den Wegfall des Gratifikationsanspruches.
Rz. 386
Die Entstehung eines Anspruches kann grds. von der Zurücklegung einer Wartezeit abhängig gemacht werden (BAG v. 12.2.2003 – 10 AZR 293/02; BAG v. 8.12.1993 – 10 AZR 638/92). Den Tarifvertragsparteien ist es auch erlaubt, eine Sonderzahlung allein vom Bestand des Arbeitsverhältnisses oder auch von einer bestimmten tatsächlichen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Bezugszeitraum abhängig zu machen (BAG v. 18.11.1998 – 10 AZR 387/98; BAG v. 6.12.1995 – 10 AZR 333/94; BAG v. 17.12.1992 – 10 AZR 427/91; BAG v. 5.8.1992 – 10 AZR 88/90). Eine tarifliche Regelung kann auch bestimmen, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen (BAG v. 25.9.2013 – 10 AZR 850/12; BAG v. 25.2.1998 – 10 AZR 298/97; BAG v. 16.3.1994 – 10 AZR 669/92). Weiter kann ein Tarifvertrag für den Arbeitgeber eine Kürzungsmöglichkeit aus wirtschaftlichen Gründen vorsehen (BAG v. 20.2.2008 – 10 AZR 126/07). Über die ausdrückliche tarifvertragliche Regelung hinaus gibt es jedoch keinen Rechtssatz des Inhaltes, dass ein Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung auf jeden Fall eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum voraussetzt. Allein mit dem Zweck einer tariflichen Sonderzahlung kann ein Ausschluss- oder Kürzungstatbestand nicht begründet werden. Soll ein Anspruch auf eine Sonderzahlung oder dessen Umfang von der erbrachten tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig gemacht werden, muss eine derartige Bestimmung in die tariflichen Regelungen aufgenommen werden. Allein aus der Tatsache, dass eine Sonderzahlung auch die im Betrieb geleistete Arbeit zusätzlich vergüten will, kann nicht entnommen werden, dass eine tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum ungeschriebene Voraussetzung für einen Anspruch auf die Sonderzahlung ist (BAG v. 18.11.1998 – 10 AZR 387/98; BAG v. 8.7.1998 – 10 AZR 404/97; BAG v. 25.2.1998 – 10 AZR 298/97; BAG v. 16.3.1994 – 10 AZR 669/92). In der Rechtsprechung hat sich in den vergangenen Jahren eine davon abweichende Auffassung herausgebildet. Hiernach kann eine tarifliche Sonderzahlung mit Vergütungscharakter durchaus an die tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen anknüpfen (BAG v. 21.1.2014 – 9 AZR 134/12).
Rz. 387
Den Tarifvertragsparteien steht es auch frei, die Gewährung einer Sonderzahlung durch Bindungsklauseln an den ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Zeitpunkt (Stichtag) zu binden. Derartige Stichtagsklauseln sind zulässig, sie unterliegen dabei auch keiner Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB, da sie aufgrund der Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 S. 1 BGB von einer AGB-Kontrolle ausgenommen sind (BAG v. 3.7.2019 – 10 AZR 300/18). Anders verhält sich dies bei Stichtagsklauseln in vorformulierten Arbeitsverträgen (BAG v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06; vgl. auch LAG Düsseldorf v. 15.2.2017 – 7 Sa 397/16). Nicht zulässig sind Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die eine Sonderzahlung, die jedenfalls auch Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung darstellt, vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt innerhalb oder außerhalb des Jahres abhängig machen, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde. Derartige Klauseln benachteiligen den Arbeitnehmer unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB (BAG v. 13.11.2013 – 10 AZR 848/12; BAG v. 18.1.2012 – 10 AZR 612/10).