Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 680
Ob bzw. inwieweit "nach"-vertragliche Verschwiegenheitspflichten, insbesondere über Geschäftsgeheimnisse, auch ohne ausdrückliche vertragliche Regelung zu beachten sind, ist in Rspr. und Literatur umstritten (vgl. im Einzelnen § 33 Rdn 1 ff.). Das GeschGehG enthält dazu keine Vorgaben. Insofern empfiehlt sich unbedingt eine entsprechende Regelung für die Zeit nach dem rechtlichen Ende des Anstellungsverhältnisses. In der kautelarjuristischen Praxis werden solche nachvertraglichen Verschwiegenheitsverpflichtungen vielfach verwandt und sollten in keinem Vertrag fehlen (vgl. ebenso Reufels, in: GmbH-Handbuch Teil IV Rn 175; Thüsing, in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 611a, Rn 504; Hauck, GRUR 2022, 530, 531). Nach allgemeiner Auffassung sind solche Geheimhaltungsvereinbarungen (auch nachvertraglicher Geheimhaltungsvertrag genannt) in den Grenzen des Art. 12 GG zulässig (vgl. BAG v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97, juris Kantenbänder; BAG v. 16.3.1982 – 3 AZR 83/79, DB 1982, 224 = NJW 1983, 134 "Trombosol-Reagenz", Thüsing, in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 611a BGB Rn 504; Küttner/Kreitner, Personalbuch 2023, Verschwiegenheitspflicht, Rn 7).
Rz. 681
Nachvertragliche und vertragliche Verschwiegenheitsvereinbarungen unterliegen auch bei vielfacher einheitlicher Verwendung durch den Arbeitgeber nicht der Mitbestimmung durch den Betriebsrat, wenn die Schweigepflicht das Arbeitsverhalten betrifft oder gesetzlich geregelt ist (vgl. BAG v. 10.3.2009 – 1 ABR 87/07, NZA 2010, 180 = DB 2009, 2275)
Rz. 682
Das aus der Sicht des Unternehmens besonders Attraktive an dieser Art nach-vertraglicher Vereinbarung ist, dass nach der Rspr. des BGH solche nachvertraglichen Geheimhaltungspflichten auch ohne die Zusage einer – (nur) beim nachvertraglichen Wettbewerbsverbot erforderlichen – Karenzentschädigung rechtswirksam sind (vgl. BAG v. 16.3.1982, DB 1982, 224). Soweit die nachvertragliche Geheimhaltungsverpflichtung jedoch in Wirklichkeit inhaltlich das berufliche Fortkommen des Mitarbeiters so erschwert, dass es bei genauer Betrachtung als nachvertragliches Wettbewerbsverbot anzusehen ist, ist die Vereinbarung nur wirksam, wenn sie den Anforderungen an ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot genügt (vgl. Kunz, DB 1993, 2482, 2486; Moll, BRAK-Mitt. 1994, 228; Molkenbur, BB 1990, 1196, 1197; Thüsing, in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 611a Rn 504); LAG Hamm v. 16.4.1986 – 15 Sa 165/86, DB 1986, 2087 = LAGE § 74 HGB Nr. 2).
Rz. 683
So ist z.B. ein Mitarbeiter, der sich einer entschädigungslosen nachvertraglichen Verschwiegenheitsverpflichtung unterworfen hat, nicht daran gehindert, nach seinem Ausscheiden Kunden seines ehemaligen Arbeitgebers zu umwerben (vgl. BAG v. 22.3.2017 – 10 AZR 448/15, juris) oder sein Erfahrungswissen zu verwerten (vgl. Hauck, GRUR 2022, 530, 532 mwN.). Dies wäre nur durch die Vereinbarung eines entschädigungspflichtigen nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes möglich (vgl. BAG v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97, NZA 1999, 200 = DB 1999, 289 Kantenbänder; BAG v. 15.12.1987, DB 1988, 1020 = NZA 1988, 502: Kundenschutz). Eine nachvertragliche Verschwiegenheits- sowie nachvertragliche Treuepflicht des Arbeitnehmers begründen für den Arbeitgeber regelmäßig gegen den ausgeschiedenen Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Unterlassung von Wettbewerbshandlungen (vgl. BAG v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97, DB 1999, 289 = NZA 1999, 200). Insofern ist mit der Vereinbarung einer entschädigungslosen nachvertraglichen Verschwiegenheitspflicht über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht die Wirkung eines entschädigungspflichtigen nachvertraglichen Wettbewerbsverbots erzielbar (vgl. BAG v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97, DB 1999, 289 Kantenbänder, und BAG v. 15.12.1987, DB 1988, 1020 = NZA 1988, 502; Moll, BRAK-Mitt. 1994, 228; Küttner/Kania, Personalbuch 2023, Verschwiegenheitspflicht, Rn 11). Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer grundsätzlich frei, mit seinem ehemaligen Arbeitgeber in Wettbewerb zu treten oder für ein Konkurrenzunternehmen tätig zu werden (vgl. BAG v. 22.3.2017 – 10 AZR 448/15, juris).
Rz. 684
Hinweis (zur nachvertraglichen Verschwiegenheitspflicht)
Der Arbeitgeber kann nicht durch den "Trick" der Vereinbarung einer – entschädigungslosen – nachvertraglichen Verschwiegenheitspflicht in Wirklichkeit die Rechtsfolgen einer – entschädigungspflichtigen – nachvertraglichen Wettbewerbsabrede erzielen.
Rz. 685
Für die unlautere Verwertung von Geschäftsgeheimnissen (Konstruktionszeichnungen o.Ä.) ist der frühere Arbeitgeber in vollen Umfang darlegungs- und beweispflichtig (vgl. LAG Hamm v. 21.6.2004 – 7 Sa 590/03, BB 2005, 164).
Rz. 686
Umstritten ist, für welche Dauer die nachvertragliche Verschwiegenheitsverpflichtung geschlossen werden kann. Vielfach ist in Standard-Formulierungen keine zeitliche Grenze enthalten. Das führt auf den ersten Blick dazu, dass die Verpflichtung "lebenslänglich" eingehalten werden muss. Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine Bindung ohne jede zeitliche Beschränkung (und ohne inhaltliche Konkretisi...