Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
a) Kontrolle der AGB durch die Rechtsprechung
Rz. 709
Seit der Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB auf das Arbeitsvertragsrecht ist nunmehr die Rspr. gezwungen, konkret dahin gehend zu differenzieren, welche arbeitsrechtliche Rechtsquelle zu kontrollieren ist. Dabei ist noch nicht abschließend geklärt, welche richterrechtlichen Prüfungsmaßstäbe weiterhin in Geltung geblieben sind und an welcher Stelle im AGB-rechtlichen Gefüge sie zu einem Ausschluss oder aber zu einer Modifizierung führen (vgl. hierzu Thüsing/Leder, BB 2005, 938).
Rz. 710
Soweit der Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB reicht, begründet dieser den Maßstab der Kontrolle von allgemeinen Vertragsbedingungen. Hierzu findet keine ergänzende Angemessenheitskontrolle am Maßstab des bisher bekannten Richterrechtes statt (BAG v. 27.7.2005, NZA 2005, 40, 45). Der Gesetzgeber des SchuModG hatte mit der Anwendbarkeit der AGB-rechtlichen Vorschriften auf das Arbeitsvertragsrecht das Ziel, zu einer Vereinheitlichung der Prüfungsmaßstäbe im Arbeits- und im Zivilrecht beizutragen. Die Angemessenheitskontrolle von allgemeinen Vertragsbedingungen im Arbeitsvertragsrecht stützt sich nunmehr allein auf die §§ 307 ff. BGB (Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn 36). Die so verstandene AGB-Kontrolle hat dann nicht nur Vorrang vor der Anwendung richterrechtlicher Kontrollinstrumente. Sie verdrängt das Richterrecht dahin gehend, dass dieses nur innerhalb, nicht aber neben der AGB-Kontrolle zu berücksichtigen ist. Deshalb ist eine auf die §§ 242, 315 BGB gestützte Angemessenheitskontrolle nicht mehr durchzuführen. Es besteht nur noch eine Kontrollebene (Däubler u.a., AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 307 BGB Rn 40 ff.; Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn 37).
Rz. 711
Es bleibt allerdings dabei, dass die Rechtskontrolle den äußeren Rahmen privatautonomer Gestaltungsfreiheit abdeckt. Bestehen bleibt ebenfalls die auf § 242 BGB oder § 315 BGB gestützte Ausübungskontrolle (BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NJW 2005, 1820, 1822; BAG v. 25.5.2005, NJW 2005, 3305, 3309). Festzuhalten bleibt damit, dass neben die Angemessenheitskontrolle anhand der §§ 305 ff. BGB im Einzelfall eine Rechts- oder Ausübungskontrolle auf einer zweiten Ebene treten kann, die aber ihrerseits nicht zu einer weiteren Überprüfung der Klausel auf ihre Angemessenheit auf der Grundlage des bisherigen Richterrechtes führt. (BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40, 45; Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn 40).
Rz. 712
Nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB gelten die Abs. 1 und 2 sowie die §§ 308, 309 BGB nur für Bestimmungen in AGB, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Rechtsvorschriften i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB sind nicht nur die Gesetzesbestimmungen selbst, sondern die dem Gerechtigkeitsgebot entsprechenden allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze, d.h. auch alle ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, die Regeln des Richterrechtes oder die aufgrund ergänzender Auslegung nach den §§ 157, 242 BGB und aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und Pflichten (BAG v. 7.12.2005 – 5 AZR 535/04; BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04).
Rz. 713
Hinweis
Deshalb können nur die richterrechtlichen Regelungen, die dispositives Recht begründen, zum Maßstab der Angemessenheitskontrolle nach § 307 BGB herangezogen werden. Ein Verstoß gegen zwingendes Richterrecht ist bereits ohne Rückgriff auf das AGB-Recht unzulässig.
Rz. 714
Beispielhaft zu nennen ist etwa die Rspr. zur privilegierten Arbeitnehmerhaftung und zu den Grundsätzen zur Befristung von Einzelarbeitsbedingungen. Diese beiden Fallkonstellationen brachten Richterrecht zwingender Natur hervor, was seinerseits eine Vereinbarungsmöglichkeit, auch und gerade in AGB, verbietet. Allerdings kann ehemals zwingendes Richterrecht, das eine Angemessenheitskontrolle vornahm und deshalb außerhalb der §§ 305 ff. BGB keinen eigenständigen Bestand mehr hat, als dispositives Leitbild i.R.d. Angemessenheitskontrolle nach § 307 BGB Bedeutung behalten.
Rz. 715
Diesen Ansatz verdeutlicht das BAG in seiner Entscheidung zur Vereinbarungsmöglichkeit von Widerrufsvorbehalten (BAG v. 12.1.2005, BB 2005, 833, 834). Das Richterrecht findet damit als "wesentlicher Grundgedanke" auch weiterhin in § 307 BGB Berücksichtigung. Andererseits unterzog das BAG eine Befristungsabrede einer umfassenden Interessenabwägung am Maßstab des § 307 Abs. 1 BGB, ohne in diesem Rahmen in die Rspr. zur Umgehung des Änderungsschutzes anzuknüpfen (BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40, 45). Schließlich ist folgendes zu verdeutlichen: Die Vereinbarkeit einer Probezeit gem. § 20 S. 1 BBiG als solche unterliegt als zwingendes Recht keiner Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB. Die Dauer der Probezeit, § 20 S. 2 BBiG ist jedoch bei Vereinbarung durch allgemeine Geschäftsbedingungen als normausfüllende Klausel der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB zu unterziehen (BAG v. 12.2. 2015 – 6 AZR 831/13).
Wird dagegen in einem vom AG vorformulierten Arbeitsvertra...