Rz. 55

Die Nachwirkung tritt ein, sobald der Tarifvertrag geendet hat, d.h. sobald er "abgelaufen" und damit die normative Tarifbindung entfallen ist (vgl. zur Blankettverweisung im nachwirkenden Tarifvertrag BAG v. 24.11.1999 – 4 AZR 666/98).

 

Rz. 56

Der Unterschied zwischen Tarifbindung gem. § 3 Abs. 3 TVG und Nachwirkung der Tarifnormen gem. § 4 Abs. 5 TVG besteht darin, dass der betreffende Tarifvertrag während der Phase der Tarifbindung mit normativer Kraft, während der Nachwirkungsphase dagegen nur noch schuldrechtlich gilt. Erst in der Nachwirkungsphase gilt § 4 Abs. 1, Abs. 3 TVG nicht mehr. Wird ein Arbeitsverhältnis erst in der Nachwirkungsphase begründet, wird es vom bisher geltenden Tarifvertrag nicht mehr – bei Tarifgebundenen und mit Blick auf einen Nachfolgetarifvertrag noch nicht – erfasst (BAG v. 29.1.1975 – 4 AZR 218/74).

 

Rz. 57

Die Nachwirkung des abgelaufenen Tarifvertrages tritt auch dann ein, wenn der Arbeitgeber bei Ende der Tarifbindung wegen seines Austrittes schon nicht mehr Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes ist (BAG v. 13.12.1995 – 4 AZR 1062/94). Für einen Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis erst nach Beendigung des Tarifvertrages aufnimmt, oder erst zu diesem Zeitpunkt Mitglied der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft wird, tritt keine Nachwirkung ein (BAG v. 2.3.2004 – 1 AZR 271/03).

 

Rz. 58

Die Nachwirkung endet, sobald die – schuldrechtlich – weiter geltenden Tarifregelungen wirksam durch eine das konkrete Arbeitsverhältnis der Arbeitsvertragsparteien erfassende andere Abmachung ersetzt worden sind. Der Nachwirkungszeitraum ist nicht durch eine absolute Frist begrenzt. Er dauert so lange an, wie sich an dem tariflich geprägten, fortan nur noch schuldrechtlich weiterwirkenden Status quo nichts ändert (BAG v. 15.10.2003 – 4 AZR 573/02). Die Nachwirkung kann auch rückwirkend durch Abschluss eines neuen Tarifvertrages beseitigt werden (BAG v. 8.9.1999 – 4 AZR 661/98). Mit einer "anderen Abmachung" i.S.d. § 4 Abs. 5 TVG ist im Allgemeinen eine Regelung gemeint, die nach Ende des Tarifvertrages im Nachwirkungszeitraum vereinbart worden ist. Daraus folgt nicht zwingend, dass eine ablösende Vereinbarung nicht auch bereits im Voraus getroffen werden kann, wenn es den Parteien darum geht, für den unmittelbar bevorstehenden Nachwirkungszeitraum eine divergierende Vereinbarung zu treffen (BAG v. 20.05. 2009 – 4 AZR 231/08). Eine andere Abmachung i.S.d. § 4 Abs. 5 TVG kann dabei ein neuer Tarifvertrag (bei fortbestehender Tarifbindung beider Arbeitsvertragsparteien), eine Betriebsvereinbarung oder eine arbeitsvertragliche Abrede sein. Eine parallele Regelung trifft § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB für die Fortgeltung von kollektivrechtlichen Regelungen bei einem Betriebsübergang (vgl. hierzu § 40 Rdn 38 ff.).

 

Rz. 59

Ein nachfolgender Tarifvertrag stellt eine "andere Abmachung" i.S.d. § 4 Abs. 5 TVG nur dar, falls beide Arbeitsvertragsparteien weiterhin tarifgebunden und auch die weiteren Voraussetzungen der Tarifbindung gegeben sind (BAG v. 20.4.2005 – 4 AZR 288/04). Ist dagegen der Arbeitgeber bei Inkrafttreten des Nachfolge-Tarifvertrags nicht mehr Mitglied des betreffenden Arbeitgeberverbandes, ergreift dieser Tarifvertrag die Arbeitsverhältnisse im Betrieb – eben mangels Tarifbindung des Arbeitgebers – nicht. Weder vermag sich der Arbeitgeber auf für ihn günstigere Regelungen des Nachfolge-Tarifvertrags zu berufen noch vermögen dies die Arbeitnehmer. Es gelten die Regelungen des abgelaufenen Tarifvertrages unverändert weiter – grds. zeitlich unbegrenzt. Sah bereits der abgelaufene Tarifvertrag für die Zeit nach seinem – etwa durch Kündigung eingetretenen – Ende eine Steigerung bestimmter Rechte der Arbeitnehmer vor – z.B. eine Zunahme des Urlaubsumfanges um je einen Arbeitstag für eine Anzahl der folgenden Jahre – so wirkt er auch insoweit nach (BAG v. 16.8.1990 – 8 AZR 439/89).

 

Rz. 60

Ist zwar der Arbeitgeber aus seinem bisherigen Arbeitgeberverband ausgetreten, war er im Zeitpunkt des Endes des bisher geltenden Verbandstarifvertrages aber bereits Mitglied eines anderen Arbeitgeberverbandes geworden und hat Letzterer mit der Gewerkschaft, welcher der Arbeitnehmer angehört, ebenfalls einen Tarifvertrag geschlossen (oder ist dieser allgemein verbindlich), so bekommt dieser Tarifvertrag unmittelbar mit Beendigung des bisher geltenden Verbandstarifvertrages Geltung für das Arbeitsverhältnis. Eine Phase der Nachwirkung des bisher geltenden Tarifvertrages tritt dann nicht ein. Es ist vielmehr nahtlos eine "andere Abmachung" zustande gekommen (BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95).

 

Rz. 61

Eine nach Ablauf des Tarifvertrages getroffene einzelvertragliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien stellt eine "andere Abmachung" i.S.d. § 4 Abs. 5 TVG dar. Sie kann – § 4 Abs. 1, Abs. 3 TVG gilt nicht mehr – auch ungünstiger als die bisherige Tarifregelung ausfallen. Eine wirksame – ggf. von den ArbGen als sozial gerechtfertigt angesehene – Änderungskündigung stellt eine solche "andere Abmachung" ...

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