Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
a) Arbeitsvertrag als Verbrauchervertrag
Rz. 722
Es entspricht nunmehr der Rspr., den Arbeitsvertrag regelmäßig als sog. Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB einzuordnen. Dies klärt sich an der Beantwortung der Frage, ob ein Arbeitnehmer als Verbraucher i.S.d. § 13 BGB anzusehen ist (Boemke, BB 2002, 96; Däubler u.a., AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Einl. Rn 72; Hümmerich/Holthausen, NZA 2002, 178; Lakies, AGB im Arbeitsrecht, Rn 94 ff.; Preis, NZA 2003, Sonderbeil. zu Heft 16, 19, 24; Singer, RdA 2003, 194, 195; Thüsing/Leder, BB 2004, 42, 43; dagegen z.B. Bauer/Koch, DB 2002, 42, 44; Fiebig, DB 2002, 1608; Henssler, RdA 2002, 129, 133 f.; Hromadka, NJW 2002, 2523, 2524; Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 2153, 2155). Die Rspr. hat diese Frage nach der Verbrauchereigenschaft für den Arbeitnehmer mittlerweile ausdrücklich bejaht (BAG v. 25.5.2005, NJW 2005, 3005, 3008 f.; BVerfG v. 23.11.2006, NJW 2007, 286). Die Voraussetzungen der Legaldefinition des § 13 BGB sind erfüllt. Der Arbeitnehmer unterfällt danach dem Wortlaut der Bestimmung (Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn 46). Dass dies zu keinem praxiswidrigen Ergebnis führen muss, hat die Rspr. anlässlich der Frage nach einem Widerrufsrecht auf der Grundlage des § 312 BGB beim Abschluss eines Aufhebungsvertrags deutlich gemacht (BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 135/03, NJW 2004, 2401; BAG v. 22.4.2004, AP Nr. 27 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag; vgl. auch Thüsing/Leder, BB 2004, 42). Die Rspr. hat nämlich ein Widerrufsrecht aus systematischen Gründen beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages am Arbeitsplatz verneint.
Rz. 723
Da der Arbeitgeber der Regelung des Unternehmers gem. § 14 BGB unterfällt, ist von einem Verbrauchervertrag auszugehen. Die Rechtsfolgen einer Einordnung des Arbeitsvertrages als Verbrauchervertrag sind differenziert. In § 310 Abs. 3 BGB wird in Nr. 1 und Nr. 2 eine Ausdehnung des begrifflichen Anwendungsbereiches der §§ 305 ff. BGB vorgenommen (BAG v. 26.11.2020 – 8 AZR 58/20; BAG v. 28.8.2019 – 5 AZR 425/18). Darüber hinaus ist nach Nr. 3 dieser Vorschrift diese Angemessenheits- und Inhaltskontrolle anhand des § 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB modifiziert. Der Verzugszinsanspruch bestimmt sich stets nach § 288 Abs. 1 BGB. Der 2. Absatz dieser Vorschrift ist einschränkend dahin gehend auszulegen, dass diese Ansprüche nicht erfasst werden sollen (BAG v. 23.2.2005 – 10 AZR 602/03, NZA 2005, 694, 697; Natzel, NZA 2002, 595, 597; Richardi, NZA 2002, 1004, 1009).
b) Bedeutung des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB für AGB im Arbeitsvertragsrecht
Rz. 724
Voraussetzung einer Angemessenheits- und Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB ist grds., dass die Vertragsklausel für eine Vielzahl von Fällen vorformuliert ist und dem Arbeitnehmer bei Vertragsschluss vom Verwender, regelmäßig also dem Arbeitgeber, gestellt worden ist. Soweit dagegen die Arbeitsvertragsbedingung im Einzelnen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Verwender ausgehandelt ist, findet eine Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB nicht statt, § 305 Abs. 1 S. 3 BGB. Eine AGB ist deshalb anzunehmen: Nach § 305 Abs. 1 BGB sind AGB alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss des Vertrages stellt. Aus dem Inhalt und der äußeren Gestaltung der in einem Vertrag verwendeten Bedingungen kann sich ein vom Verwender zu widerlegender Anschein dafür ergeben, dass sie zur Mehrfachverwendung formuliert worden sind. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn der Vertrag zahlreiche formelhafte Klauseln enthält und nicht auf die individuelle Vertragssituation abgestimmt ist. (BAG v. 1.3.2006 – 5 AZR 363/05). Vorformuliert sind Vertragsbedingungen nach diesen Grundsätzen immer dann, wenn sie bereits vor Vertragsschluss, wenn auch nur im Gedächtnis des Verwenders, vorgelegen haben und nicht erst beim Abschluss des Vertrages ausgehandelt wurden (BGH v. 13.11.1997 – X ZR 135/95, NJW 1998, 1066; BGH v. 30.9.1987, NJW 1988, 410). Die Einordnung des Arbeitsvertrages als Verbrauchervertrag hat für die Annahme von AGB vor dem Hintergrund des § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB Konsequenzen: Eine vom Arbeitgeber vorformulierte Klausel unterliegt auch dann der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB, wenn es sich nicht um eine für eine Vielzahl von Fällen vorgesehene AGB, sondern um eine zur einmaligen Verwendung bestimmte Klausel handelt und der Arbeitnehmer aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte (BAG v. 8.8.2007 – 7 AZR 855/06, NZA 2008, 229).
Rz. 725
Hinweis
Im Arbeitsvertragsrecht ist die Verwendung vorformulierter Vertragsklauseln der Regelfall (Lakies, AGB im Arbeitsrecht, Rn 50). Dabei muss der Verwender oder der Arbeitgeber selbst die Vertragsbedingungen nicht vorformuliert haben. Es reicht z.B. aus, wenn ein Vertragsmuster des Arbeitgeberverbandes verwandt wird oder aber der Arbeitsvertrag auf einem Änderungsvertragsmuster beruht (BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40, 44). Selbst wenn der Vertrag zahlreiche Streichungen enthält, kann von dem Vorliegen eines vorformulierten Arbeitsvertrags ausgegangen werden (BAG ...