Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 756
Nach § 305c Abs. 1 BGB werden Bestimmungen in AGB, die nach den Umständen, insb. nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. Diese AGB-rechtliche Vorschrift soll eine Überraschung oder Übertölpelung des Arbeitnehmers bei der Einbeziehung von AGB verhindern. Zwischen den durch die Umstände bei Vertragsschluss begründeten Erwartungen und dem tatsächlichen Vertragsinhalt muss ein deutlicher Widerspruch bestehen (BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 443/04; BAG v. 19.1.2011 – 10 AZR 738/09, NZA 2011, 631; BAG v. 21.6.2011, NZA 2011, 1338).
Rz. 757
Die konkreten Umstände bei Abschluss des Arbeitsvertrages können für die Beurteilung der Frage, ob eine überraschende Klausel i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB vorliegt, von Bedeutung sein (BAG v. 9.5.2007, EzA § 305 BGB 2002 Nr. 12). Eine wesentliche Rolle spielt deshalb auch die Ausgestaltung und Aufmachung des Arbeitsvertrages. Eine allgemeine Ausgleichsklausel, nach welcher sämtliche Ansprüche "gleich, nach welchem Rechtsgrund sie entstanden sein mögen, abgegolten und erledigt sind", wird nicht Vertragsinhalt, wenn der Verwender sie in einer Erklärung mit falscher oder missverständlicher Überschrift ohne besonderen Hinweis oder drucktechnischer Hervorhebung einfügt (BAG v. 23.2.2005 – 4 AZR 139/04, NZA 2005, 1193; BAG v. 19.1.2011, NZA 2011, 631).
Rz. 758
Enthält ein Formulararbeitsvertrag neben einer drucktechnisch hervorgehobenen Befristung für die Dauer eines Jahres im nachfolgenden Text ohne drucktechnische Hervorhebung eine weitere Befristung des Arbeitsvertrages zum Ablauf der sechsmonatigen Probezeit, so ist die Probezeitbefristung eine überraschende Klausel, die nach § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil wird (BAG v. 16.4.2008 – 7 AZR 132/07, NJW 2008, 2279). Einem Ausländer dagegen, der nach mündlichem Abschluss des Arbeitsvertrages einen in deutscher Sprache abgeschlossenen und deutschem Recht unterfallenden Formulararbeitsvertrag unterschreibt, ohne auf eine Übersetzung zu bestehen, muss auch eine nicht zur Kenntnis genommene Ausschlussfrist dieses Formulararbeitsvertrages gegen sich gelten lassen. Insofern steht er einem Vertragspartner gleich, der einen Vertrag ungelesen unterschreibt. Eine Ausschlussfrist, die in einem Formularvertrag als eigenständiger Untergliederungspunkt unter einer Regelung, die mit "Vergütung/Zahlungsweise" überschrieben ist, enthalten ist, ist keine überraschende Klausel. Von einem Durchschnittsarbeitnehmer ist zu verlangen, dass er alles, was unter der Überschrift "Vergütung" im Arbeitsvertrag steht, vor der Unterschrift zumindest überfliegt (LAG Nds. v. 18.3.2005, NZA-RR 2005, 401).
Rz. 759
Eine formularmäßig vereinbarte, im Vertragstext nicht besonders hervorgehobene Vertragsstrafenregelung, ist jedenfalls dann keine überraschende Klausel i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB, wenn der gesamte Vertragstext ein einheitliches Schriftbild hat, keinerlei drucktechnische Hervorhebung enthält, keine der im Einzelnen durchnummerierten Vertragsregelungen mit einer Überschrift versehen ist und die Vertragsstrafe auch nicht versteckt bei einer anderen Thematik angeordnet ist (LAG Schleswig-Holstein v. 2.2.2005, NZA-RR 2005, 351).
Rz. 760
Eine auflösende Bedingung in einer Altersteilzeitvereinbarung, wonach das Arbeitsverhältnis nach Ablauf des Kalendermonates endet, in dem der Arbeitnehmer zum Bezug der frühestmöglichen gesetzlichen Altersrente berechtigt ist, kann nach dem Verlauf der Vertragsverhandlungen als Überraschungsklausel anzusehen sein. Dies kann anders zu beurteilen sein, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor der Unterzeichnung der Altersteilzeitvereinbarung auf die Bedeutung der auflösenden Bedingung hingewiesen hat (BAG v. 8.8.2007 – 7 AZR 605/06, DB 2008, 133).
Rz. 761
Die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten stehen einer grundsätzlichen Anwendung des § 305c Abs. 1 BGB nicht entgegen (Däubler u.a., AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 305c BGB Rn 6; Lakies, AGB im Arbeitsrecht, Rn 226).
Rz. 762
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine Klausel dann überraschend i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB ist, wenn sie nach den Umständen objektiv ungewöhnlich ist. Zum anderen ist Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer subjektiv nicht mit ihrer Verwendung rechnen musste. Inhaltlich überraschend sind solche Klauseln, die in einem Arbeitsvertrag in seiner besonderen Ausprägung allgemein nicht anzutreffen sind. Entscheidend ist damit immer die Abweichung vom sog. "normalen", d.h. von den maßgeblichen Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise (Däubler u.a., AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 305c BGB Rn 9).
Rz. 763
Rz. 764
Deshalb hat das BAG die Wirksamkeit von Ausgleichsquittungen und Ausschlussfristen unter dem Gesichtspunkt des Verbots überrasc...