Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 375
Angesichts der Vielzahl der Begriffsbezeichnungen und den Anlässen für Sonderleistungen des Arbeitgebers kann die Beurteilung, ob es sich bei einer Sonderzahlung um eine Gratifikation in dem hier erörterten Sinne handelt, schwierig sein. Die Gratifikation ist insb. von anderen verwandten Entgelten zu unterscheiden, von denen nachfolgend die wichtigsten aufgezeigt werden.
(1) Signing-Bonus/Sign-up-Bonus
Rz. 376
Aus den USA zu uns gekommen sind vermehrt sog. "Signing-Bonus"-Regelungen, auch "Sign-up-Bonus" genannt, die ursprünglich aus dem Profi-Sport stammen (vgl. z.B. OLG Köln v. 2.3.2005 – 24 W 2/05, zu einem Profi-Fußballer). Durch einen Bonus, der gleich zu Beginn des Arbeitsverhältnisses gezahlt wird, geht der Arbeitgeber sozusagen in Vorleistung. Meist werden solche Klauseln abgeschlossen, um Führungskräfte vom Wettbewerber abzuwerben. Der Höhe nach werden solche Boni üblicherweise in der Größenordnung von drei Monatsgehältern bis zu einem Jahresgehalt gezahlt und auch mit gestaffelten Rückzahlungsklauseln versehen, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb einer bestimmten Frist beendet wird, hierzu beispielsweise ArbG Berlin v. 16.11.2012 – 28 Ca 14761/12:
Zitat
"Lässt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zur Bindung an das Unternehmen gegen die Zusage einer Rückerstattung bei Ausscheiden diesseits bestimmter Zeitpunkte einen Bonus zukommen (hier: "Sign-On Bonus"), so gelten die Grundsätze der Gerichte für Arbeitssachen zu den Grenzen wirksamer Bindungsdauer je nach Höhe des zugewandten Geldbetrages" (Leitsatz 1).
(2) Abschluss- oder Tantiemegratifikationen
Rz. 377
Die sog. Abschluss- oder Tantiemegratifikation (Jahresabschlussvergütung) ist eine der Höhe nach variable und vom Gewinn des Unternehmens abhängige Sonderleistung, die an alle Arbeitnehmer oder bestimmte Arbeitnehmergruppen des Betriebes – meist leitende Angestellte in besonderen Funktionen – gezahlt wird. Mit ihr sind bestimmte Arbeitnehmer unabhängig von ihrem persönlichen Anteil am Gewinn des Unternehmens, des Betriebes oder einer Betriebsabteilung beteiligt. Im Unterschied zu echten Tantiemen oder Gewinnbeteiligungen sind derartige Abschluss- oder Tantiemegratifikationen (Jahresabschlussvergütungen) den Regeln der Gratifikation zu unterwerfen, wenn sie ohne Rücksicht auf Gewinn oder Verlust des Unternehmens als Anerkennung für geleistete Dienste und bewiesene Betriebstreue gewährt werden (BAG v. 8.9.1998 – 9 AZR 273/97; BAG v. 28.1.1981 – 5 AZR 846/78; LAG Hamm v. 23.2.2001 – 15 Sa 1572/00; LAG Niedersachsen v. 5.7.2002 – 10 Sa 657/02). Um Sonderzahlungen in diesem Sinne handelt es sich hingegen nicht, wenn ihnen Provisionscharakter zukommt, weil sie allein nach den individuellen Leistungen des Arbeitnehmers in der Vergangenheit zu bemessen sind (BAG v. 21.1.2009 – 10 AZR 216/08; BAG v. 23.5.2007 – 10 AZR 363/06).
(3) Treue- oder Anwesenheitsprämien
Rz. 378
Auch Treue- oder Anwesenheitsprämien können je nach Ausgestaltung gratifikationsähnliche Sonderleistungen sein. Mit einer Treueprämie soll zumeist die langjährige Betriebszugehörigkeit und/oder die treue Pflichterfüllung während eines bestimmten Bezugszeitraumes belohnt werden. Auch die Jubiläumszuwendung gehört hierher (BAG v. 28.5.2008 – 10 AZR 274/07; BAG v. 23.10.2002 – 10 AZR 48/02). Der Anspruch des Beschäftigten auf ein Jubiläumsgeld "bei Vollendung" einer bestimmten Beschäftigungszeit setzt nicht voraus, dass das Arbeitsverhältnis über diesen Zeitpunkt hinaus fortbesteht (BAG v. 9.4.2014 – 10 AZR 635/13).
Rz. 379
Demgegenüber ist die Anwesenheitsprämie eine in ihrer Höhe von der Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb abhängige Sonderleistung. Hierunter ist eine Geldleistung zu verstehen, mit deren Zusage dem Arbeitnehmer der Anreiz geboten wird, die Zahl seiner berechtigten oder unberechtigten Fehltage im Bezugszeitraum möglichst gering zu halten. Eine derartige Leistung ist nicht an bestimmte Zahlungsmodalitäten gebunden, sondern sie kann als Prämie für jeden einzelnen Tag, an dem der Arbeitnehmer seine Arbeit aufnimmt, gezahlt werden, als Einmalleistung zu einem bestimmten Zeitpunkt, z.B. am Jahresende oder viermal jährlich, bezogen auf den davor liegenden Dreimonatszeitraum (BAG v. 25.7.2001 – 10 AZR 502/00). Dabei können die Anspruchsvoraussetzungen für eine Anwesenheitsprämie sehr unterschiedlich geregelt sein. Anwesenheitsprämien sind nach Einführung der gesetzlichen Regelung des § 4a EntgFG grds. zulässig, womit ein grundlegender Streit in der Rspr. des BAG sein Ende gefunden hat. Nach § 4a S. 2 EntgFG darf der Arbeitgeber pro Krankheitstag Leistungen nicht über ¼ des Entgeltes kürzen, das im Jahresdurchschnitt für einen Arbeitstag zu zahlen ist. Daher ist die Anwesenheitsprämie als Teil des fortzuzahlenden Entgeltes einerseits weiterzuzahlen, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank ist. Dies bedeutet jedoch andererseits, dass dem krankheitsbedingt abwesenden Arbeitnehmer die Anwesenheitsprämie nur insoweit gezahlt werden muss, als er überhaupt einen Entgeltfortzahlungsanspruch hat. Besteht ein solcher nicht, etwa wegen groben Eigenverschuldens an der Krankheit, oder endet er etwa ...