Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 20
Ganz anderer Struktur als die OT-Mitgliedschaft eines Arbeitgebers im Arbeitgeberverband ist der sog. "AT-Status" (außertariflicher Status) eines gewerkschaftsangehörigen (angestellten) Arbeitnehmers. Der außertarifliche Angestellte ist Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft, die satzungsgemäß ohne Einschränkung für ihn zuständig bleibt, und wird dennoch von den Regelungen des Tarifvertrags nicht erfasst. Dies ist wegen §§ 4 Abs. 1, 3 Abs. 1 TVG nur möglich, wenn der betreffende Tarifvertrag selbst sich für bestimmte Arbeitnehmer als nicht geltend erklärt, obwohl diese Gewerkschaftsmitglieder sind, obwohl sie in einem vom fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags erfassten Betrieb arbeiten und obwohl auch der Arbeitgeber tarifgebunden ist (BAG v. 6.5.2003 – 1 ABR 13/02; vgl. allgemein dazu Faustmann/van der Woldenberg, NZA 2001, 1113).
Rz. 21
Eine solche "Entlassung" sehen Tarifverträge regelmäßig nur für Angestellte vor, die in einem gewissen Umfang übertariflich bezahlt werden und/oder Aufgaben wahrnehmen, die die in der höchsten tariflichen Vergütungsgruppe vorgesehenen Anforderungen übersteigen.
Rz. 22
So sind bspw. nach dem Gehaltstarifvertrag für Groß- und Außenhandelsunternehmen in Nordrhein-Westfalen v. 30.5.2011 vom persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags ausgenommen:
Zitat
Angestellte,
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Personen, die durch Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung der Personengesellschaft berechtigt sind; |
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gesetzliche Vertreter von juristischen Personen; |
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Angestellte gemäß § 5 Abs. 3 und Abs. 4 BetrVG. |
Rz. 23
Für den AT-Status bedeutsam ist, dass der jeweilige Tarifvertrag selbst festlegt, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Personenkreis, der "eigentlich" tarifgebunden ist, aus seinem Geltungsbereich entlassen wird. Es gibt Tarifverträge bzw. Tarifvertragsparteien, die eine solche "Entlassung" von tarifgebundenen Arbeitnehmern in den AT-Status überhaupt nicht oder z.B. nur für "leitende Angestellte" i.S.d. § 5 Abs. 3, 4 BetrVG vorsehen. Noch so gut verdienende, mit noch so verantwortungsvollen Aufgaben betraute gewerkschaftsangehörige (nicht "leitende") Angestellte bleiben unter dieser Voraussetzung unverändert tarifgebunden – und tarifgeschützt, was etwa die Dauer der geschuldeten Arbeitszeit, die Vergütungs- und die Zuschlagspflichtigkeit von Überstunden u.Ä. angeht. Andere Tarifverträge setzen den Kreis der AT-Angestellten nach einem Mindestabstand z.B. mindestens 120 % des höchsten Tarifgehalts, fest.
Rz. 24
Eine bloß individual-rechtliche Absprache der Arbeitsvertragsparteien dahin, es werde dem Angestellten der Status eines außertariflichen Angestellten "verliehen", er werde zum AT-Angestellten "befördert" o.Ä., kann die Tarifbindung nicht beseitigen – auch nicht, wenn der Arbeitnehmer mit dem AT-Status einverstanden ist, § 4 Abs. 1 TVG. Einzelne Vertragsabsprachen, die für den Arbeitnehmer günstiger als die entsprechenden Tarifbestimmungen sind, mögen Geltung behalten, § 4 Abs. 3 TVG.
Rz. 25
Tarifverträge wiederum können vorsehen, dass es zur Begründung des AT-Status nicht nur bestimmter sachlicher Voraussetzungen, sondern zudem der einzelvertraglichen Abrede über seine Entstehung, d.h. der Einigung über den Wegfall der Tarifbindung und/oder dass es dazu gar der Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bedarf (so der Manteltarifvertrag für die chemische Industrie).
Rz. 26
Ist der Status des AT-Angestellten einmal tarifwirksam begründet worden, so kann er jedoch wieder verloren gehen. Sinken etwa mangels Erhöhung seines bislang übertariflichen Gehaltes die Bezüge des AT-Angestellten wegen Erhöhung der Tarifgehälter unter den tarifvertraglich vorgesehenen Mindestabstand zu diesen herab, tritt erneut volle Tarifbindung des Angestellten ein. "Ernennt" der Arbeitgeber einen Angestellten mit dessen Einverständnis allerdings konstitutiv zum AT-Angestellten und sind beide Arbeitsvertragsparteien i.S.v. § 4 Abs. 3 TVG tarifgebunden, hat der AT-Angestellte einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf eine die tarifliche Abstandsklausel wahrende Vergütung (BAG v. 19.5.2009 – 9 AZR 505/08). Der AT-Angestellte, dessen Vergütung über einen längeren Zeitraum nicht angehoben wurde, wodurch er im Ergebnis ein geringeres Gehalt erhält, als er erhalten würde, wäre er in der höchsten Tarifgehaltsgruppe eingruppiert, hat im Übrigen Anspruch auf Anpassung des Gehaltes.
Rz. 27
Besteht eine normative Tarifbindung des Arbeitnehmers mangels Gewerkschaftszugehörigkeit und Allgemeinverbindlichkeit des betreffenden Tarifvertrages ohnehin nicht, steht der individualrechtlichen und einvernehmlichen Vereinbarung eines förmlichen "AT-Status" nichts entgegen. Tarifrechtlich hat diese Vereinbarung keine Folgen. Sie spiegelt gewöhnlich nur eine betriebliche Hierarchiestufe wider. Sind allerdings bestimmte Tarifverträge einzelvertraglich in das Arbeitsverhältnis einbezogen worden und sehen diese den AT-Status von Arbeitnehmern gar nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen vor, so ist die einseitige "Ve...