Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 829
Die Diskussion um die Wirksamkeit von zweistufigen Ausschlussfristen wurde vornehmlich anhand des Klauselverbotes des § 309 Nr. 13 BGB geführt (Gotthard, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn 288 f.; Thüsing/Leder, BB 2005, 1563, 1564 f.; Hönn, ZfA 2003, 325, 340 f.; Hümmerich, NZA 2003, 753, 755; Lakies, NZA 2004, 569, 575; Reinecke, BB 2005, 378, 382; Singer, RdA 2003, 194, 201). Das BAG hingegen hat bei der Prüfung der Angemessenheit dieser Klauseln auf die angemessene Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten verwiesen. Nach Auffassung der Rspr. dienten zweistufige Ausschlussfristen seit Langem der im Arbeitsleben anerkanntermaßen erforderlichen raschen Klärung von Ansprüchen und der Bereinigung offener Streitpunkte (BAG v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NJW 2005, 3305, 3306). Damit sind zweistufige Ausschlussfristen anhand des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB zu überprüfen (BAG v. 24.5.2005 – 5 AZR 572/04).
Rz. 830
Ausschlussfristen können neben vertraglichen auch gesetzliche Ansprüche erfassen. Selbst unabdingbare gesetzliche Ansprüche können von einer Ausschlussfrist erfasst werden (BAG v. 24.3.1988 – 2 AZR 630/87, DB 1989, 182; anders dagegen BAG v. 5.4.1984, NZA 1984, 257, wonach eine einzelvertraglich vereinbarte Ausschlussklausel nicht für gesetzliche Urlaubsansprüche gilt). Die Begründung hierfür lautet, dass sich entsprechende Ausschlussfristen nicht auf das gesetzlich unabdingbare Recht als solches, sondern lediglich auf seine Geltendmachung beziehen würden. Eine Abweichung von kollektiv-rechtlichen Ansprüchen ist in einer einzelvertraglichen Ausschlussfrist nicht möglich, § 4 Abs. 3 TVG, § 77 Abs. 4 S. 4 BetrVG. Für eine Ausschlussklausel, die Ansprüche aus einem Tarifvertrag bzw. einer Betriebsvereinbarung nicht ausdrücklich ausnimmt, ist eine Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht anzunehmen, weil die §§ 4 Abs. 3 S. 3 TVG, 77 Abs. 4 S. 4 BetrVG als Besonderheit des Arbeitsrechts nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB einzuordnen sind (BAG v. 30.1.2019 – 5 AZR 43/18).
Aber: § 3 S. 1 MiLoG bestimmt, dass Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken, insoweit unwirksam sind. Das BAG hat nunmehr angenommen (BAG v. 20.6.2018 – 5 AZR 377/17; BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18; BAG v. 30.1.2019 – 5 AZR 43/18), dass eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklausel bereits dann vollständig unwirksam ist, wenn sie auch den von § 1 MiLoG garantierten Mindestlohn erfasst. Eine derartige Klausel sei nicht klar und verständlich und verstoße mithin gegen § 307 Abs. 2 S. 2 BGB. Eine Ausschlussfristenregelung weicht nicht zuungunsten des Arbeitnehmers von der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung des Mindestlohns aus § 1 MiLoG ab, wenn das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.10.2014 rechtlich beendet ist, denn der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn besteht erst seit dem 1.1.2015 (BAG v. 17.10.2017 – 9 AZR 80/17). Nach dem BAG tritt Gesamtnichtigkeit der Ausschlussklausel nach dem AGB-Recht jedenfalls dann nicht ein, wenn die Ausschlussfrist in einem Arbeitsvertrag vereinbart wurde, der vor dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes am 16.8.2014 abgeschlossen wurde (BAG v. 17.4.2019 – 5 AZR 331/18). Dies soll auch für Ansprüche gelten, die erst nach dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes entstanden sind. Die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist könne nicht durch die Gesetzesänderung nachträglich intransparent werden.
Das BAG hat schon bezogen auf das Mindestentgelt nach § 2 der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche die Unwirksamkeit einer Ausschlussklausel angenommen, die das Mindestentgelt nicht ausdrücklich ausgenommen hatte (BAG v. 24.8. 2016 – 5 AZR 703/15). Die Klausel könne nicht für andere Ansprüche aufrechterhalten werden, weil das Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB dem entgegenstehe.
Besonderheiten gelten im Hinblick auf formularvertragliche Ausschlussfristen bei kirchlichen Arbeitgebern. Im Hinblick auf die Arbeitsverhältnisse bei der katholischen Kirche hat das BAG die Rechtsprechung bestätigt, nach der es sich bei der Kirchlichen Arbeits- und Vergütungsordnung (KAVO) um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. §§ 305 ff BGB handelt (BAG v. 30.10.2019 – 6 AZR 465/18). Wegen der paritätischen Besetzung der Arbeitsrechtlichen Kommission im Verfahren des Dritten Weges seien jedoch arbeitsrechtliche Besonderheiten zu berücksichtigen (BAG v. 30.10.2019 – 6 AZR 465/18). Die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen seien grundsätzlich wie Tarifverträge nur daraufhin zu kontrollieren, ob sie gegen höherrangiges Recht oder die guten Sitten verstoßen. Eine Transparenz nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB finde nicht statt (BAG v. 30.10.2019 – 6 AZR 465/18). Infolgedessen ist eine in den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen enthaltene Ausschlussfrist nicht unwirksam, wenn sie Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn entgegen § 3 S. 1 MiLoG nicht ausnimmt.
Rz. 831
Sind die Ansprüche noch nich...