Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
aa) Mitbestimmung des Betriebsrats
Rz. 472
Gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen. Auch bei der Gewährung freiwilliger Sonderzahlungen hat der Betriebsrat hinsichtlich des sog. Leistungsplans mitzubestimmen (BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82). Das Mitbestimmungsrecht ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Arbeitnehmer im Hinblick auf einen Freiwilligkeitsvorbehalt keinen Anspruch auf die Sonderzahlung besitzen (BAG v. 14.6.1994 – 1 ABR 63/93; BAG v. 8.12.1981 – 1 ABR 55/79). Der Betriebsrat hat aber die mitbestimmungsfreien Vorgaben des Arbeitgebers zu beachten. So ist die Entscheidung des Arbeitgebers, ob er überhaupt eine freiwillige Leistung erbringen und welche finanziellen Mittel er hierfür zu welchem Zweck zur Verfügung stellen will, mitbestimmungsfrei (Dotierungsrahmen, BAG v. 13.12.2011 – 1 AZR 508/10 betreffend eine Bonusregelung). Weiterhin unterliegt die Entscheidung, welcher Zweck mit der Sondervergütung verfolgt und wie der begünstigte Personenkreis abstrakt bestimmt werden soll, keiner Mitbestimmung (BAG v. 14.6.1994 – 1 ABR 63/93; BAG v. 8.12.1981 – 1 ABR 55/79). Widerruft der Arbeitgeber zulässigerweise die Zahlung in vollem Umfang, scheidet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus. Will der Arbeitgeber hingegen einen von ihm reduzierten Dotierungsrahmen nach anderen Verteilungsmaßstäben auf die betroffenen Arbeitnehmer aufteilen, greift das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wieder. Auch bei der Anrechnung betrieblicher Leistungen auf eine tarifliche Sonderzahlung können sich Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 BetrVG ergeben. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates scheidet jedoch aus, wenn es sich um eine gleichmäßige und vollständige Anrechnung handelt, sodass sich keine Änderung der Verteilungsgrundsätze und damit auch keine Regelungsspielräume für den Betriebsrat ergeben (BAG v. 3.3.1993 – 10 AZR 42/92). Weiter kann es sich bei dem Umstand, dass der Arbeitgeber mehreren Arbeitnehmern eine einmalige Sonderzahlung gewährt, mit der ihr besonderes Engagement in einer Ausnahmesituation nachträglich honoriert werden soll, um einen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtigen kollektiven Tatbestand handeln (BAG v. 29.2.2000 – 1 ABR 4/996).
bb) Pfändung, Abtretung, Aufrechnung
Rz. 473
Nach § 850a Nr. 4 ZPO sind Weihnachtsvergütungen bis zum Betrag der Hälfte des monatlichen Arbeitseinkommens nach § 850c Abs. 1 ZPO unpfändbar. Eine absolute Deckelung besteht mit der Neuregelung zum 1.1.2022 nun nicht mehr. In Höhe dieses unpfändbaren Betrages kann eine Weihnachtsgratifikation auch nicht abgetreten werden, § 400 BGB. Eine Aufrechnung gegen den unpfändbaren Teil der Weihnachtsgratifikation ist ausgeschlossen, § 394 BGB. Auch durch Parteivereinbarung können Gratifikationen der Pfändung nicht entzogen werden (BAG v. 4.3.1961 – 5 AZR 169/60). Zu den Weihnachtsvergütungen i.S.d. § 850a Nr. 4 ZPO gehören Weihnachtsgratifikationen, auf die der Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch hat. Freiwillig gewährte Gratifikationen scheiden schon deshalb aus, weil ein Anspruch, der gepfändet werden könnte, nicht besteht.
Rz. 474
Ob ein zu Weihnachten fälliges 13. Monatsgehalt ebenfalls als Weihnachtsvergütung i.S.d. § 850a Nr. 4 ZPO anzusehen ist, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt (zust. Röhsler, AR-Blattei SD 820 "Gratifikation" Rn 245; Schaub, ArbRHB, § 90 Rn 30; a.A. Lipke/Vogt/Steinmeyer, Sonderleistungen im Arbeitsverhältnis, Rn 236). Sofern es sich bei der zu Weihnachten fälligen Gratifikation um eine reine arbeitsleistungsbezogene Sonderleistung handelt, dürfte sie als Arbeitsvergütung nach § 850c ZPO pfändbar sein und nicht der bevorzugten Behandlung des § 850a Nr. 4 ZPO unterliegen (BAG v. 14.3.2012 – 10 AZR 778/10). Eine tarifliche Jahressonderzahlung stellt keine Weihnachtsvergütung i.S.v § 850a Nr. 4 ZPO dar. Sie ist deshalb nach dieser Vorschrift auch nicht teilweise pfändungsfrei (LAG Sachsen-Anhalt v. 17.1.2019 – 2 Sa 354/16; BAG v. 18.5.2016 – 10 AZR 233/15; BAG v. 14.3.2012 - 10 AZR 778/10).
Rz. 475
Stellt die Sonderleistung ein sog. Treugeld dar, das der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer aus Anlass langjähriger Betriebszugehörigkeit gewährt, insb. anlässlich eines Jubiläums und das auch die Honorierung vergangener und/oder künftiger Betriebstreue bezweckt, unterfällt sie § 850a Nr. 2 ZPO. Allerdings bewirkt der Umstand, dass der Anspruch auf eine Weihnachtsvergütung i.S.v. § 850a Nr. 4 ZPO mit einer Stichtags- oder Rückzahlungsklausel verknüpft ist, nicht, dass es sich bei dieser Sonderzahlung um unpfändbares Treugeld i.S.v. § 850a Nr. 2 ZPO handelt. Ebenso verhält es sich, wenn mit der Sonderzahlung einerseits im Bezugszeitraum geleistete Arbeit zusätzlich vergütet werden soll, andererseits aber die Sonderzahlung auch die Honorierung vergangener und/oder zukünftiger Betriebstreue bezweckt wird (BAG v. 30.7.2008 – 10 AZR 459/07).
Rz. 476
Auch Rückzahlungsansprüche des Arbeitgebers unterliegen den Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO....