Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
aa) Allgemeines
Rz. 892
Wirtschaftliche Veränderungen, die auf das Unternehmen wirken, können es erforderlich machen, die Vergütungen und deren Bestandteile den geänderten Bedingungen anzupassen. Wie diese Anpassung rechtstechnisch umzusetzen ist, hängt im Ausgangspunkt von der Anspruchsgrundlage des Entgeltanspruches ab. Dieser kann sich aus dem Arbeitsvertrag, einer Gesamtzusage, einer betrieblichen Übung, einer Betriebsvereinbarung oder aus einem Tarifvertrag ergeben. Es bleibt jedenfalls die Möglichkeit einer einvernehmlichen Einigung über die Veränderungen im Entgeltbereich bestehen. Dies wird sich aber ohne den Willen des Arbeitnehmers in der Praxis oft nicht erreichen lassen.
bb) Anpassungsmöglichkeiten des Arbeitgebers
Rz. 893
Auch wenn man als einseitige Anpassungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Entgelthöhe den Freiwilligkeitsvorbehalt, den Widerrufsvorbehalt und die teilweise Befristung des Arbeitsverhältnisses anerkennt, ist der Kernbereich des Arbeitsvertrages vor einseitigen Eingriffen geschützt. Für Widerrufsvorbehalte in AGB hat das BAG dies auf der Grundlage des § 307 Abs. 2 BGB erkannt (BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, BB 2005, 833, 834). Bisher wollte die Rspr. die Umgehung des gesetzlichen Änderungskündigungsschutzes nach § 2 KSchG verhindern. Nunmehr wirkt dies über § 307 Abs. 1 Nr. 1 BGB als gesetzliche Regelung fort. Von einer Umgehung des Kündigungsschutzes ging das BAG dann aus, wenn wesentliche Elemente des Arbeitsvertrages einer einseitigen Änderung unterliegen sollten, durch die das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung grundlegend gestört wäre (BAG v. 7.8.2002, AP Nr. 81 zu § 315 BGB; BAG v. 21.4.1993, NZA 1994, 476, 477). In einem solchen Fall werde unzulässig in den Kernbereich des Arbeitsvertrages eingegriffen (BAG v. 7.8.2002, AP Nr. 81 zu § 315 BGB). Auch im Gefolge der Schuldrechtsreform hat das BAG die sog. Umgehungsrechtsprechung nicht aufgegeben (BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, BB 2005, 833, 834). Hierzu gehört weiterhin die Einsicht, dass der Kernbereich des Arbeitsvertrags nicht der einseitigen Gestaltungsmacht des Arbeitgebers unterliegen soll. Damit wurde eine Abkopplung von § 2 KSchG und eine Hinwendung zu § 307 Abs. 2 BGB erreicht. Dies hat aber zur Folge, dass der Kernbereich unabhängig von der Anwendbarkeit des KSchG geschützt ist (BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, BB 2005, 833, 834). Auch wenn das Arbeitsverhältnis noch nicht länger als 6 Monate im Betrieb bestanden hat oder aber das KSchG wegen der Kleinbetriebsklausel des § 23 KSchG keine Anwendung findet, ist der Widerruf einer AGB-Kontrolle zu unterziehen.
Rz. 894
Immer noch bleibt eine Grenzziehung zwischen dem Kernbereich des Arbeitsvertrages zu seinem Randbereich erforderlich. Während der Kernbereich des Arbeitsvertrages nur im Wege der Änderungskündigung gem. § 2 KSchG gestaltbar sein soll, unterliegt der sog. Randbereich bereits i.R.d. §§ 305 ff. BGB der Gestaltungsmacht des Arbeitgebers. Die variable Ausgestaltung von Entgeltbestandteilen sei zulässig, soweit der variable Anteil am Gesamtverdienst unter 25 bis 30 % liegt und der Tariflohn nicht unterschritten werde (BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, BB 2005, 833, 834; BAG v. 11.10.2006, BB 2007, 109, 112).
Rz. 895
Nach dieser Rspr. gilt Folgendes: Die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehaltes ist zulässig, soweit der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende widerrufliche Teil des Gesamtverdienstes unter 25 % liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird. Sind darüber hinaus Zahlungen des Arbeitgebers widerruflich, die nicht eine unmittelbare Gegenleistung für die Arbeitsleistung darstellen, sondern Ersatz für Aufwendungen, die an sich der Arbeitnehmer selbst tragen muss, erhöht sich der widerrufliche Teil der Arbeitsvergütung auf bis zu 30 % des Gesamtverdienstes (BAG v. 11.10.2006 – 5 AZR 721/05, BB 2007, 109, 112). Unterhalb dieses Bereiches sei der Arbeitgeber bis zur Grenze der Willkür frei in der Gestaltung. (Preis/Lindemann, AuR 2005, 229, 230; Willemsen/Grau, NZA 2005, 1137, 1141; Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn 264).
Der Widerrufsvorbehalt unterliegt als eine von Rechtsvorschriften abweichende Bestimmung der uneingeschränkten Inhaltskontrolle, § 307 BGB (BAG v. 11.10. 2006 – 5 AZR 721/05). Einseitige Leistungsbestimmungsrechte, die dem Klauselverwender das Recht einräumen, die Hauptleistungspflichten einzuschränken, zu verändern, auszugestalten oder zu modifizieren, unterliegen der Inhaltskontrolle (BAG v. 24.1. 2017 – 1 AZR 774/14). Die Wirksamkeit des Widerrufsvorbehalts richtet sich nach § 308 Nr. 4 BGB als der gegenüber § 307 BGB spezielleren Norm. Deren Wertungen sind aber im Rahmen des § 308 Nr. 4 BGB heranzuziehen. Außerdem sind nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen. Die Vereinbarung eines Widerrufsrechts ist nach § 308 Nr. 4 BGB zumutbar, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll, sondern wegen der unsicheren Entwicklung als Instrument der Anpassung notwendig ist (BAG v. 12.1. 2005 – 5 AZR 364/04; BAG v. 24.1. 201...