Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
aa) Allgemeines
Rz. 923
Ob und unter welchen Voraussetzungen eine im Voraus vereinbarte Freistellungsklausel nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform rechtswirksam ist, hat das BAG noch nicht entschieden. Allerdings hat sich die Rspr. schon früh zu einem Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers im ungekündigten Arbeitsverhältnis oder im gekündigten Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bekannt (BAG v. 10.11.1955, AP Nr. 2 zu § 611 BGB – Beschäftigungspflicht). Danach hat der Arbeitnehmer Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung während des bestehenden Arbeitsverhältnisses. Dieser Anspruch wird mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG begründet. Die Achtung und Respektierung des Arbeitnehmers hängt wesentlich von der geleisteten Arbeit ab und die Tätigkeit im Arbeitsverhältnis ist eine wesentliche Möglichkeit zur Entfaltung der geistigen und körperlichen Fähigkeiten eines Arbeitnehmers (BAG v. 10.11.1955, AP Nr. 2 zu § 611 BGB – Beschäftigungspflicht; BAG v. 27.2.1985, AP Nr. 14 zu § 611 BGB – Beschäftigungspflicht).
Rz. 924
Hiervon zu unterscheiden ist der ebenfalls durch die Rspr. gewährte Weiterbeschäftigungsanspruch während des Kündigungsschutzprozesses. Dieser findet seine Rechtsgrundlage in den §§ 611, 613 i.V.m. § 242 BGB. Nach Auffassung des BAG beruht der Anspruch des gekündigten Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist unmittelbar auf der sich aus § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung der Art. 1 und 2 GG über den Persönlichkeitsschutz für den Arbeitgeber ergebenden arbeitsvertraglichen Förderungspflicht der Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers. Stehen dem Beschäftigungsanspruch schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegen, zu denken ist an den Wegfall der Vertrauensgrundlage, fehlende Einsatzmöglichkeiten, Gefahr des Geheimnisverrates, muss dieser allerdings zurücktreten (BAG v. 27.2.1985, AP Nr. 14 zu § 611 BGB – Beschäftigungspflicht). Einen besonderen Weiterbeschäftigungsanspruch gewährt § 102 Abs. 5 BetrVG bei einem ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats.
Rz. 925
Auch wenn es noch nicht einheitlich geklärt ist, nach der überwiegenden Auffassung stellt die Beschäftigungspflicht eine arbeitsvertragliche Hauptpflicht des Arbeitgebers dar (ErfK/Preis, § 611 BGB Rn 703).
Rz. 926
Praxistipp
Der Arbeitnehmer im ungekündigten Arbeitsverhältnis kann gegen eine unwirksame Versetzung auf einen geringer bewerteten Arbeitsplatz eine Verletzung des Beschäftigungsanspruches durch den Arbeitgeber gerichtlich geltend machen. Diesen Anspruch auf Beschäftigung zu den bisherigen Bedingungen kann der Arbeitnehmer auch im Wege einer einstweiligen Verfügung durchsetzen. Der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers entfällt jedoch, wenn dem Arbeitgeber eine tatsächliche Beschäftigung unmöglich oder unzumutbar ist (LAG Hamm v. 20.8.2004, LAGE § 611 BGB 2002 – Beschäftigungspflicht Nr. 3; BAG v. 13.6.1990, EzA § 611 BGB – Beschäftigungspflicht Nr. 44; LAG Berlin v. 24.9.2004, EzBAT § 54 BAT – unkündbare Angestellte Nr. 18).
bb) Befreiungsmöglichkeiten des Arbeitgebers von der Beschäftigungspflicht
Rz. 927
Der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers entfällt, wenn der Arbeitgeber von seiner Beschäftigungspflicht befreit ist. Das Arbeitsverhältnis besteht in dieser Konstellation fort, die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ruhen aber bei einer Suspendierung.
Rz. 928
Bei einer fehlenden vertraglichen Vereinbarung ist die einseitige Suspendierung des Arbeitnehmers von der Beschäftigung regelmäßig nur zulässig, wenn dem Arbeitgeber eine Beschäftigung oder Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unzumutbar ist (BAG v. 15.6.1972, AP Nr. 7 zu § 628 BGB; LAG Köln v. 20.3.2001, AuR 2001, 237; LAG Hamm v. 3.11.1993, LAGE § 611 – Beschäftigungspflicht Arbeitnehmers Nr. 36). Diese besonderen Umstände, die eine Suspendierung von der Beschäftigungspflicht rechtfertigen sollen, müssen dann von dem Arbeitgeber bewiesen werden (LAG München v. 7.5.2003, LAGE § 611 BGB 2002 – Beschäftigungspflicht Nr. 1; LAG München v. 19.8.1992, NZA 1993, 1130). Es muss dabei um eine erhebliche Gefährdung für die Ordnung des Betriebs oder die Gefahr einer schwerwiegenden Vertragsverletzung gehen. Ist ein Arbeitnehmer in leitender Stellung nicht an ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot gebunden und kommt nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Dienst für ein Konkurrenzunternehmen in Betracht, ist der Arbeitgeber zu einer Suspendierung berechtigt, selbst wenn eine längere Kündigungsfrist besteht (LAG Hamm v. 3.11.1993, LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 36). Umgekehrt ist es so, dass eine außerordentliche Kündigung nicht allein deshalb unwirksam ist, weil für den Arbeitgeber die Möglichkeit bestehen würde, den Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Bezüge bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist freizustellen (BAG v. 11.3.1999, AP Nr. 149 zu § 626 BGB).
Rz. 929
Wird der Arbeitnehmer von der Beschäftigung freigestellt, behält er i.d.R. seinen Vergütungsanspruch. Selbst bei einer strafbaren Handlung ...