a) Vorliegen eines "beiderseitigen Widerspruchs"
Rz. 294
Noch "schräger" können die Ergebnisse werden, wenn der Erblasser über die verschiedenen Spaltnachlässe unterschiedlich verfügt hat.
Rz. 295
Beispiel
Der Nachlass eines in Florida lebenden Deutschen besteht im Wesentlichen aus einer Ranch in Texas und einer Kette von Steak-Restaurants in Frankreich. Der Wert des Immobilienbesitzes in beiden Ländern beträgt jeweils 1,2 Mio. EUR. Er vermacht die Ranch seinem Sohn und die französischen Restaurants seiner Tochter. Den Rest, ein Wohnhaus und Geldvermögen in Bremen (Wert etwa 600.000 EUR), bekommt die von ihm getrennt lebende Ehefrau.
Rz. 296
Aufgrund Rück- bzw. Weiterverweisung kommt es hier zu einer mehrfachen Nachlassspaltung: Für die Restaurants gilt das französische Belegenheitsrecht, für die Ranch gilt das texanische Recht und für das Wohnhaus in Bremen das deutsche Erbrecht.
Rz. 297
Bei dieser Aufteilung erhalten Sohn und Tochter jeweils mehr, als für sie das französische Erbrecht (je ⅓ vom Gesamtnachlass i.H.v. 3 Mio. EUR, also 1 Mio. EUR) oder das deutsche Erbrecht (je ¼, also 750.000 EUR) als Pflichtteil vorsähen. Der Sohn könnte dennoch aufgrund der Nachlassspaltung (siehe Rdn 296) und der damit verbundenen "isolierten Betrachtung" des in Frankreich belegenen Immobilienvermögens in Frankreich Pflichtteilsklage erheben und von seiner Schwester einen Geldbetrag i.H.v. ⅓ dieses Nachlassteils verlangen. Französische Gerichte ließen hierbei unter Geltung des bis zum Inkrafttreten der EuErbVO geltenden nationalen Erbkollisionsrechts den Umstand, dass der Sohn aus dem texanischen Spaltnachlass des Erblassers bereits reichhaltig bedacht wurde, unberücksichtigt. In Texas dagegen würde eine Klage der Tochter abgewiesen, da ihr nach texanischem Recht bei Volljährigkeit keine zwingenden Rechte gegen den Nachlass mehr zustehen.
Rz. 298
Im Beispiel tritt durch die Aufspaltung ein beiderseitiger Widerspruch auf: Sowohl das französische als auch das Erbrecht von Texas würden dem Sohn ein Pflichtteilsrecht versagen, wenn der gesamte Nachlass einem der beiden Rechte unterläge. Erst die mit der Aufspaltung verbundene, gegenständlich beschränkte Betrachtungsweise führt dazu, dass der Sohn Pflichtteilsansprüche geltend machen und im Ergebnis 53 % (statt der ihm vermachten 40 %) des Gesamtnachlasses erhält. Das Ergebnis widerspricht daher allen drei beteiligten materiellen Rechten. Damit wäre grundsätzlich an die Korrektur durch eine Angleichung zu denken (siehe Rdn 303). Vorrangig wäre aber zu prüfen, ob sich nicht schon in den berufenen Rechten eine Lösung ergibt.
b) Einseitiger Ausgleich auf materiell-rechtlicher Ebene
Rz. 299
Beispielsweise könnte eines der beteiligten materiellen Rechte hier reagieren. So kann bei Ermittlung der Bedürftigkeit für die Bemessung der family allowance nach dem Recht eines der US-Staaten oder bei der für die Beurteilung eines Anspruchs auf family provision nach englischem Recht erforderlichen Feststellung, ob der Erblasser den Angehörigen testamentarisch "angemessen" bedacht hat, auch eine Zuwendung aus dem anderen Nachlassteil berücksichtigt werden.
Rz. 300
Für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs nach deutschem Recht wird die Anrechenbarkeit von Zuwendungen aus einem ausländischem Erbrecht unterliegenden Spaltnachlass bejaht. Der Angehörige sei nicht durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen i.S.v. § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB, soweit er aus anderen Nachlassteilen mehr als seinen Pflichtteil erhalte. Basis für diese Kürzung ist der Gesamtpflichtteil, also die Summe der Pflichtteile, die sich für den Kläger aus sämtlichen Nachlassteilen ergäben. Es wäre also zu berechnen, was der Betreffende bekäme, wenn er von sämtlichen Nachlassteilen testamentarisch ausgeschlossen wäre. Die Berechnung erfolgt dabei für jeden Spaltnachlass nach dem hierfür geltenden Erbstatut (unter Berücksichtigung lebzeitiger Zuwendungen etc.). Auf diesen Gesamtpflichtteil muss sich der Kläger alles anrechnen lassen, was er testamentarisch zugewandt erhielt. Der verbleibende Restbetrag bildet dann die Obergrenze für den Pflichtteilsanspruch nach deutschem Recht. Der Pflichtteilsanspruch wird also um die Beträge gekürzt, die der Betreffende aus anderen Nachlassteilen jeweils über den ihm dort zustehenden Pflichtteil hinaus erhalten hat.
Rz. 301
Klagt nun der Sohn im Beispiel auch in Deutschland gegen die Ehefrau des Erblassers den ihm nach deutschem Erbrecht zustehenden Pflichtteilsanspruch i.H.v. 150.000 EUR ein, wäre der Gesamtpflichtteil wie folgt zu berechnen: Der Wert seines Pflichtteils an den Restaurants nach französischem Recht beträgt 400.000 EUR, am texanischen Nachlass entstünde kein Kindespflichtteil und aus dem d...