Rz. 109
Art. 36 Abs. 2 EuErbVO sieht ein interlokales Ersatz-Kollisionsrecht vor. Dieses verfährt differenziert danach, aufgrund welcher Anknüpfung die EuErbVO auf das ausländische Recht verwiesen hat:
a) Bei Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt
Rz. 110
Gemäß Art. 36 Abs. 2 lit. a EuErbVO gilt jede Verweisung aufgrund Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit, in der der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Konkret bedeutet das, dass bei einer Verweisung aufgrund von Art. 21 EuErbVO (sei es unmittelbar, sei es aufgrund einer Verweisung in Art. 24, 25 EuErbVO etc.) der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers nicht nur in Bezug auf einen bestimmten Staat zu bestimmen ist, sondern dieser auch innerhalb eines bestimmten Staates auf eine bestimmte Gebietseinheit einzugrenzen ist. Die internationale Verweisung wird also in den interlokalen Bereich hinein "verlängert".
Rz. 111
Im Beispielsfall (Rdn 106) hatte der Erblasser in den USA seinen gewöhnlichen Aufenthalt im US-Staat Kalifornien. Daher ist hier das Recht von Kalifornien anzuwenden. Noch vor Anwendung der materiell-rechtlichen Regeln des kalifornischen Probate Code freilich sind die kalifornischen Erbkollisionsnormen daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht eine Rückverweisung auf das deutsche Recht oder das Recht eines anderen Mitgliedstaates der EuErbVO aussprechen (Art. 34 Abs. 1 EuErbVO).
b) Bei Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit
Rz. 112
Beispiel
Ein aus Los Angeles stammender US-Amerikaner, der zuletzt mit seiner Ehefrau in New York lebte und nach Trennung von ihr nun mit seiner Freundin in Düsseldorf wohnt, möchte für seine Erbfolge gerne kalifornisches Erbrecht wählen. Dieses sieht – anders als das in New York geltende Recht – für die Witwe keine zwingenden Rechte vor, so dass die Erbeinsetzung seiner Lebensgefährtin nicht beeinträchtigt würde.
Rz. 113
Eine Verweisung aufgrund Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Erblassers gilt gem. Art. 36 Abs. 2 lit b EuErbVO als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit, zu der der Erblasser die engste Verbindung hatte. Diese Regelung betrifft effektiv aufgrund des Ausschlusses einer objektiven Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit in der EuErbVO ausschließlich die Fälle der Anwendung ausländischen Rechts aufgrund einer Rechtswahl des Erblassers (Art. 22, 24 Abs. 2, 25 Abs. 3 EuErbVO).
Rz. 114
Damit ergibt sich, dass in dem Fall, dass der Heimatstaat keine einheitliche Rechtsordnung kennt, der Testator nur das Recht des Gesamtstaates wählen kann, nicht aber unmittelbar eine ihm vertraute oder günstig erscheinende Teilrechtsordnung aussuchen kann. Vorbehaltlich eines einheitlichen interlokalen Kollisionsrechtssystems in diesem Staat (vgl. Art. 36 Abs. 1 EuErbVO) wird dann also die maßgebliche Teilrechtsordnung zwingend nach dem "objektiven Maßstab" in Art. 36 Abs. 2 lit. b EuErbVO bestimmt.
Rz. 115
Für den Beispielsfall ergibt sich daraus, dass der Kalifornier in seinem Testament für die Erbfolge ausschließlich die Geltung des "US-amerikanischen Rechts" anordnen kann. Bestimmt er die Geltung des Rechts "von New York", so ist diese Anordnung nur dann zu beachten, wenn er in den USA tatsächlich die engsten Verbindungen zum Staat New York hat. Ob das vom Erblasser gewünschte kalifornische oder das mutmaßlich von der Ehefrau präferierte Recht von New York gilt, entscheidet der zuständige deutsche (Art. 4 EuErbVO) Richter anhand seiner Ansicht von der "engsten Verbindung". Gelangt der Richter zu dem Ergebnis, dass die engste Verbindung zur Geltung des Erbrechts von Kalifornien führt, so wäre genauer zu ermitteln, ob der Erblasser auch für diesen Fall die Geltung des US-Rechts gewollt hätte.
Rz. 116
Eine besondere Rechtsunsicherheit ergibt sich nun daraus, dass Art. 36 Abs. 2 lit. b EuErbVO nicht konkretisiert, ob die engste Verbindung zum Zeitpunkt des Todes oder zum Zeitpunkt der Rechtswahl entscheidet. Die Frage ist völlig ungeklärt. Selbst in der Literatur liegt erkennbar noch keine Position vor.
Rz. 117
So würde sich im Beispielsfall die Verbindung nach New York mit der Zeit abschwächen und die Verbindung nach Kalifornien verstärken, wenn der Erblasser z.B. in Los Angeles weiterhin Familienangehörige hatte, die er regelmäßig besucht, in New York aber außer seiner Ex-Ehefrau niemand mehr wohnt. Die Rechtswahl würde aber als Gestaltungsmittel erheblich an Bedeutung verlieren. Zieht der Erblasser z.B. später nach Texas und stirbt dort, so würde eine enge Beziehung wohl nur noch zum texanischen Recht führen, welches er bei Errichtung der Verfügung möglicherweise gar nicht in Betracht gezogen hatte. Art. 22 Abs. 1 EuErbVO verzichtet sogar darauf, dass der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes überhaupt diese Staatsangehörigkeit gehabt hat. Der Erblasser kann sich aussuchen, ob es auf die Staatsangehörigkeit bei Anordnung der Rechtswahl oder aber zum Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls ankommt. Überträgt man dies auf die interlokale Konstellation, so muss es im Beispielsfall genügen, dass der Testator entweder bei...