a) Allgemeines
Rz. 41
Die Rechtswahl stellt eine Verfügung von Todes wegen dar. Aus Art. 22 Abs. 1 EuErbVO ergibt sich, dass eine Rechtswahl möglich ist und welche Rechtsordnungen zur Wahl stehen. Des Weiteren wird verlangt, dass die Rechtswahl ausdrücklich in Form einer Verfügung erfolgt oder sich aus den Bestimmungen einer solchen Verfügung ergibt, Art. 22 Abs. 2 EuErbVO. Für alle weiteren materiellen Anforderungen an die Rechtswahl (Testierfähigkeit, Widerruf, Bindung, Auswirkung von Erklärungsmängeln etc.) verweist Art. 22 Abs. 3 EuErbVO auf das Recht, das durch die Erklärung gewählt wird (Rechtswahlstatut). Praktisch erfolgt das, indem zunächst zu unterstellen ist, dass die Rechtswahl wirksam ist (Vorgriff auf das gewählte Recht). Dogmatisch gesehen führt diese Regelung zu einem Zirkelschluss (bootstrapping rule).
Rz. 42
Unter die materiellen Erfordernisse fallen im Wesentlichen die in Art. 26 EuErbVO enumerierten Umstände, vor allem die Testierfähigkeit und die Auswirkung von Irrtümern. Daher kann z.B. auch eine nach dem am gewöhnlichen Aufenthalt geltenden Erbrecht testierunfähige Person sich durch Wahl des Heimatrechts nicht nur die nach dem Heimatrecht bestehende Testierfähigkeit herbeiwählen, sondern auch die Fähigkeit, eine entsprechende Rechtswahl vornehmen zu können. Die Auslegung dürfte wohl zumindest insoweit, als sich aus der EuErbVO auch die Möglichkeit einer konkludenten Rechtswahl ergibt, nicht dem Rechtswahlstatut, sondern der EuErbVO zu entnehmen sein.
b) Wirksamkeit einer stillschweigenden Rechtswahl
Rz. 43
Die Rechtswahl kann ausdrücklich erfolgen, etwa in der Weise: "Die Erbfolge nach meinem Tode soll dem italienischen Recht unterliegen." Art. 22 Abs. 2 EuErbVO lässt es aber auch genügen, dass sich die Rechtswahl "aus den Bestimmungen einer Verfügung von Todes wegen" ergibt. Erstaunlich ist dabei, dass im Gegensatz zu Art. 3 Rom I-VO nicht erforderlich ist, dass sich die Rechtswahl "eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags" ergibt bzw. "sich mit hinreichender Sicherheit aus den Umständen des Falles ergeben" muss (Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO). Erwägungsgrund 39 S. 2 der EuErbVO weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine Rechtswahl sich durch eine Verfügung von Todes wegen ergeben könne, wenn z.B. der Erblasser in seiner Verfügung Bezug auf spezifische Bestimmungen des Rechts des Staates, dem er angehört, genommen hat oder das Recht dieses Staates in anderer Weise erwähnt hat. Damit wird in weitem Umfang eine "konkludente" Rechtswahl ermöglicht, wo der Erblasser die Geltung einer bestimmten Rechtsordnung wollte, aber sich hierzu nicht ausdrücklich geäußert hat. An einen rechtsgeschäftlichen Rechtswahlwillen seien geringe Anforderungen zu stellen. Damit sind de facto in bedenklicher Weise einer "ergänzenden Testamentsauslegung" selbst in den Fällen, in denen sich der Erblasser über die Frage des anwendbaren Rechts nicht einmal Gedanken gemacht hatte, Tür und Tor geöffnet. Im Wege eines "kollisionsrechtlichen favor testamenti" wird sich hieraus wohl ergeben, dass eine Wahl des Heimatrechts dann anzunehmen ist, wenn die getroffenen Verfügungen nur unter Zugrundelegung eines bestimmten der Heimatrechte die offensichtlich beabsichtigten Wirkungen entfalten können. Grenzen für die Unterstellung einer Rechtswahl ergeben sich zunächst aus dem Erfordernis, dass die Rechtswahl sich aus der Verfügung von Todes wegen ergeben muss. Ob ein in Spanien lebender Deutscher das deutsche Erbrecht wählt, wenn er "Vor- und Nacherbfolge" anordnet, ist danach zweifelhaft, denn auch spanisches Recht kennt die in ihren Wirkungen weitgehend der Vor- und Nacherbfolge vergleichbare sustitución fideicommissaria und verlangt für die Wirksamkeit eines Testaments nicht die Verwendung der spanischen Sprache.
Rz. 44
Auch kann man daraus, dass Art. 83 Abs. 4 EuErbVO allein für vor dem 17.8.2015 errichtete Verfügungen von Todes wegen eine Wirksamkeit des Testaments nach einer bestimmten Rechtsordnung genügen lässt, ableiten, dass für eine konkludente Rechtswahl i.S.v. Art. 22 Abs. 1 EuErbVO sich diese in irgendeiner Weise konkret im Testament niedergeschlagen haben muss. Eine reine Bezugnahme auf die "Umstände des Einzelfalles" genügt nicht für die Annahme einer Rechtswahl.