Rz. 136
Umstritten ist, inwieweit es die Wirkungen des Pflichtteilsverzichts berührt, wenn das auf die Erbfolge anwendbare Recht (effektives Erbstatut) vom auf die Wirksamkeit des Verzichts anwendbaren Recht (Errichtungsstatut) divergiert. Dazu kann es kommen, wenn der Erblasser nach Abschluss des Verzichtsvertrages in einen anderen Staat umzieht oder wenn er eine Rechtswahl vornimmt bzw. eine vor Abschluss des Verzichtsvertrages vorgenommene Rechtswahl widerruft. Kennt das effektive Erbstatut keinen Pflichtteilsverzicht, so ist ein – nach dem weiterhin maßgeblichen Errichtungsstatut – "wirksam" vereinbarter Pflichtteilsverzicht weiterhin wirksam, aber wirkungslos. Die nach dem effektiven Erbstatut vorgesehenen Pflichtteilsrechte werden von dem Erbverzicht – da das Erbstatut die Verzichtswirkungen nicht kennt – nicht berührt.
Rz. 137
Da zahlreiche Rechtsordnungen die Wirkungen eines Verzichts auf Erb- und Pflichtteilsrechte nicht anerkennen, handelt es sich hierbei um das eigentliche Problem der kollisionsrechtlichen Behandlung des Pflichtteilsverzichts. Einige der bislang zu diesem Punkt ausdrücklich Stellung nehmenden Autoren erstrecken unter Berufung auf Art. 25 EuErbVO das Errichtungsstatut auch auf die Verzichtswirkungen. Art. 25 EuErbVO unterstellt aber nur die Gültigkeit und von den Wirkungen allein die Bindungswirkungen dem Errichtungsstatut. Daher gibt diese Vorschrift eine entsprechende Rechtsfolge nicht her.
Rz. 138
Nach anderer Ansicht gilt für die Verzichtswirkungen das effektive Erbstatut.
Beispiel
Hat ein deutscher Erblasser, der im griechischen Mazedonien lebt, mit seinem Sohn nach Wahl deutschen Erbrechts einen Verzichtsvertrag abgeschlossen, so ist dieser Vertrag wegen der Rechtswahl wirksam. Widerruft er später die Rechtswahl, so wird die Erbfolge dem griechischen Aufenthaltsrecht unterliegen. Der Verzichtsvertrag bleibe zwar wirksam, unter dem griechischen Erbrecht aber wirkungslos.
Rz. 139
Das Ergebnis überrascht zunächst. Es ergibt sich aber deutlich aus der in Art. 26 und 23 EuErbVO vorgenommenen Unterscheidung zwischen "Gültigkeit" und "Wirkungen" einer erbrechtlichen Verfügung. Hätte der Erblasser z.B. den Sohn erbvertraglich bindend zum Nacherben eingesetzt, bliebe in gleicher Weise der Erbvertrag wirksam, die Nacherbeneinsetzung unter dem griechischen Erbstatut, welches die Nacherbfolge nicht anerkennt, aber wirkungslos. Darüber hinaus lässt sich auch kein zwingendes Bedürfnis dafür erkennen, das Errichtungsstatut auf die Verzichtswirkungen zu erstrecken, denn beim Verzicht – anders als beim Erbvertrag – hat der Begünstigte – nämlich der Erblasser – den Eintritt des Statutenwechsels selbst in der Hand.