Rz. 118
Beispiel
Der Erblasser war Professor an einer Hochschule in Berlin. Aufgrund eines universitären Kooperationsprogramms ist er für zunächst zehn Jahre an eine Partnerhochschule nach Nanjing in China gegangen. Dort verstarb er, kurz bevor eine von ihm beantragte Verlängerung um weitere fünf Jahre bewilligt worden war. Er hinterlässt ein Grundstück in Spandau, eine Eigentumswohnung in Malta sowie Bankguthaben in Hongkong und in Frankfurt.
Rz. 119
Auch bei Verweisung auf das Recht eines Staates ohne einheitliches Zivilrecht ist das dort geltende internationale Erbrecht gem. Art. 34 Abs. 1 EuErbVO anzuwenden und auf eine Rück- oder Weiterverweisung zu prüfen. Dabei ist wie folgt vorzugehen:
Rz. 120
Im Beispielsfall wird man aufgrund der beantragten Vertragsverlängerung nach zehn Jahren einen gewöhnlichen Aufenthalt in China annehmen können. Freilich bedarf dies noch einer Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls, um den gewöhnlichen Aufenthalt zu ermitteln. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO verweist für die Erbfolge dann auf das Recht der VR China.
Rz. 121
Zunächst ist zu prüfen, ob ein national einheitliches IPR existiert. In diesem Fall ist noch vor Anwendung des interlokalen Privatrechts zu prüfen, ob der ausländische Staat die Verweisung überhaupt annimmt. Spricht das nationale IPR eine Rück- oder Weiterverweisung aus, so steigt man in die interlokale Prüfung erst gar nicht ein. Diese Situation gibt es wohl nur in Spanien und in Bosnien-Herzegowina. Da in Spanien die EuErbVO gilt, scheidet eine Rück- oder Weiterverweisung hier aber aus.
Rz. 122
In den meisten Staaten mit interlokaler Rechtsspaltung auf dem Gebiet des Erbrechts ist vielmehr auch das internationale Erbkollisionsrecht gespalten, wie z.B. in den USA, in Großbritannien, Kanada, Mexiko und China. Daher ist über Art. 36 Abs. 2 EuErbVO nach Verweisung auf das Recht dieses Staates auch zur Prüfung einer Rückverweisung zunächst die einschlägige Teilrechtsordnung zu ermitteln. Auf Ebene dieser Teilrechtsordnung sind wiederum vorrangig das internationale und das interlokale Kollisionsrecht zu prüfen. Typisch für die meisten Staaten ist dabei, dass die Anknüpfung des Erbstatuts im internationalen und im interlokalen Verhältnis nach denselben Regeln erfolgt (insbesondere im Vereinigten Königreich, in den USA und Kanada). Hier sind dann drei Möglichkeiten denkbar:
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Zunächst kann das IPR die Verweisung annehmen und damit die Anwendbarkeit dieser Teilrechtsordnung ergeben. |
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Es kann aber auch eine "internationale" Rückverweisung auf das deutsche Recht oder eine internationale Weiterverweisung auf das Recht eines dritten Staates aussprechen. |
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Schließlich ist vorstellbar, dass eine "interne" Weiterverweisung auf das Recht einer anderen Teilrechtsordnung desselben Staates ausgesprochen wird. |
Rz. 123
Damit ergibt sich im Beispielsfall zunächst aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers gem. Art. 21 EuErbVO eine Verweisung auf das Recht der VR China. Diese besteht aus den Rechtsgebieten Festland-China, Hongkong und Macao. Mangels eines einheitlichen interlokalen Privatrechts i.S.v. Art. 36 Abs. 1 EuErbVO ist gem. Art. 36 Abs. 2 EuErbVO zu verfahren. Gemäß Art. 36 Abs. 2 lit. a EuErbVO ist das Recht des Teilrechtsgebietes anzuwenden, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Diese Verweisung führt im vorliegenden Fall zum Recht von Festland-China. Hier wäre zunächst das IPR auf der Basis des Rechtsanwendungsgesetzes von 2010 zu prüfen. Dieses verweist für die Vererbung von Immobilien auf das Recht des Staates, in dem diese jeweils belegen sind. Für bewegliches Vermögen gilt das Recht des Staates, in dem der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte. Daraus folgt für das in Spandau belegene Grundstück eine Verweisung auf das deutsche und für das in Malta belegene Grundstück eine Verweisung auf das maltesische Recht. Diese Verweisung ist als Rückverweisung auf das Recht jeweils eines Mitgliedstaates i.S.d. EuErbVO anzunehmen. Die Bankguthaben in Frankfurt und Hongkong unterliegen dem Wohnsitzrecht des Erblassers. Insoweit ist daher das materielle Erbrecht der VR China (Festland) anzuwenden.