aa) Internationale gerichtliche Zuständigkeit
Rz. 9
Die internationale Zuständigkeit für erbrechtliche Streitigkeiten wird in Art. 4 EuErbVO den Gerichten des Staates zugewiesen, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Diese Zuständigkeit ist grundsätzlich ausschließlich. Allenfalls dann, wenn der Erblasser die Erbfolge durch Rechtswahl gem. Art. 22 EuErbVO seinem Heimatrecht unterstellt hatte, ergeben sich unter bestimmten Voraussetzungen Möglichkeiten, die Sache gem. Art. 7 EuErbVO an die Gerichte des Heimatstaates zu verweisen.
Rz. 10
Die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzstaates kann z.B. dann, wenn der Erblasser im Ausland verstorben ist, seine Angehörigen und sein wesentliches Vermögen jedoch im Heimatstaat hinterlassen hat (z.B. der deutsche Unternehmer, der sich für seinen Lebensabend nach Apulien zurückgezogen hat), wegen der für die Hinterbliebenen mit der Prozessführung im Ausland verbundenen besonderen Kosten und Zeitverzögerungen in manchen Fällen zu einer erheblichen Erschwerung des Rechtswegs führen.
Rz. 11
Art. 10 EuErbVO sieht ergänzende Zuständigkeiten für den Fall vor, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat – also in einem Staat, in dem die EuErbVO nicht gilt – gehabt hatte. So kann z.B. dann, wenn der Erblasser zuletzt in den USA gelebt hatte, gem. Art. 10 Abs. 1 lit. a EuErbVO in Deutschland eine Pflichtteilsklage erhoben werden, wenn der Erblasser deutscher Staatsangehöriger gewesen ist.
Rz. 12
Gegen die konkurrierende Zuständigkeit der Gerichte mehrerer Staaten wurde in der Literatur häufig angeführt, diese fördere das "forum shopping". Das überzeugt schon deswegen nicht, weil durch die Vereinheitlichung des internationalen Kollisionsrechts im Erbrecht dem forum shopping weithin die Basis genommen ist. Das einheitliche Kollisionsrecht in den Art. 20 ff. EuErbVO führt dazu, dass in allen Staaten der EU das auf die Erbfolge anwendbare Recht nunmehr nach den gleichen Grundsätzen bestimmt wird. Das forum shopping bietet mithin allenfalls im Bereich der auf europäischer Ebene noch nicht einheitlich geregelten Vorfragen (beispielsweise bei der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen) noch Potential.
bb) Objektive Anknüpfung des Erbstatuts nach den Regeln der EuErbVO
Rz. 13
Gemäß Art. 21 Abs. 1 EuErbVO wird das auf die Erbfolge und im Pflichtteilsrecht anwendbare Recht an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers angeknüpft. Bedenken gegen die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt wurden anlässlich des Kommissionsentwurfs vom 14.10.2009 geäußert, weil man befürchtete, der leichte Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts führe zu einer Instabilität, die gerade im Erbrecht für alle Betroffenen verheerende Auswirkungen habe. Zudem wurden Fragen im Zusammenhang mit der rechtlichen Unbestimmtheit des Begriffs geäußert. Teilweise wurde vorgeschlagen, in die Verordnung eine Definition des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts aufzunehmen. Der Rat und das Europäische Parlament haben auf diese Bedenken reagiert, indem in Nr. 23 und 24 der Erwägungsgründe zur EuErbVO gewisse Leitlinien zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts aufgenommen wurden. So soll bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts die mit der Erbsache befasste Behörde eine langfristige Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vornehmen, bei der alle relevanten Tatsachen berücksichtigt werden, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Der so bestimmte gewöhnliche Aufenthalt sollte unter Berücksichtigung der spezifischen Ziele dieser Verordnung eine besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen.
Rz. 14
Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich, dass der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen der EuErbVO "erbrechtsspezifisch" auszulegen ist, so dass durch Betonung der langfristigen Perspektive eine gewisse Stabilität gewährleistet ist. Besondere Bedeutung misst der EuGH dabei dem Willenselement zu, also der Absicht des Betreffenden, einer Wohnung in einem bestimmten Staat Beständigkeit zu verleihen (ausführlich dazu Rdn 58 ff.).
Rz. 15
Die Gegenansicht möchte an einer einheitlichen Auslegung des Begriffs im europäischen IPR festhalten und unangemessene Rechtsfolgen im Einzelfall durch Rückgriff auf die Ausweichklausel in Art. 21 Abs. 2 EuErbVO vermeiden, wonach in Ausnahmefällen die Anwendung des Rechts eines anderen Staates möglich ist, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu diesem Staat hatte. Im internationalen Pflichtteilsrecht würde die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt dem Erblasser interessante Gestaltungsmöglichkeiten durch "Umzug" eröffnen, die freilich einseitig zu Lasten der Angehörigen gingen.