Rz. 81
Besondere Probleme werfen die sog. Mallorca-Rentner auf, die gleichermaßen viel Zeit des Jahres in Deutschland wie auch im Süden verbringen. Ähnliches gilt für Personen, die in dem einen Staat arbeiten und in einem anderen mit der Familie leben. Man könnte hier sowohl einen simultan bestehenden Aufenthalt in beiden Staaten als auch einen alternierenden Aufenthalt (also dort, wo sich die betreffende Person aktuell aufhält) annehmen.
Rz. 82
Die Konzeption des gewöhnlichen Aufenthalts als "Lebensmittelpunkt" schließt allerdings seine Teilbarkeit aus. Im Bereich der internationalen Zuständigkeit mag es zwar noch sinnvoll sein, zu einer konkurrierenden Zuständigkeit mehrerer Gerichte aufgrund mehrfachen gewöhnlichen Aufenthalts der betreffenden Person zu gelangen. Bei Anknüpfung des Erbstatuts aber würde man bei Annahme eines mehrfachen gewöhnlichen Aufenthalts zu keinem Ergebnis gelangen. Die Erbrechtsverordnung sieht für diesen Fall keine Ersatzanknüpfung vor (anders z.B. als die insoweit differenzierter ausgestaltete Vorschrift in Art. 3 des Hager Erbrechtsübereinkommens 1989). Daher schließt die Regelung in Kapitel III der Erbrechtsverordnung die Feststellung eines mehrfachen gewöhnlichen Aufenthalts aus und zwingt den Rechtsanwender dazu, im Rahmen der Auslegung des Begriffs eine eindeutige Entscheidung zu fällen.
Rz. 83
Die Väter der Erbrechtsverordnung haben dieses Problem gesehen. In Erwägungsgrund 24 der EuErbVO geben sie Hinweise, welche Kriterien in diesen Fällen den Ausschlag geben sollen. Dabei werden z.B. der "Herkunftsstaat", die Staatsangehörigkeit, die familiäre Verbundenheit und soziale Beziehungen genannt, als ultima ratio bei Personen, die ständig durch die Welt reisen, auch die Staatsangehörigkeit oder die Belegenheit des wesentlichen Teils des Vermögens. Hieraus ergibt sich nicht nur, dass der gewöhnliche Aufenthalt im Rahmen der EuErbVO erbrechtsspezifisch unter besonderer Berücksichtigung langfristiger Bindungen und familiärer Beziehungen zu bestimmen ist. Es ergibt sich auch die Übertragung des aus dem common law bekannten Grundsatzes, wonach keine Person ohne domicile ist und niemand mehr als ein domicile hat, auf den gewöhnlichen Aufenthalt im Erbrecht.
Rz. 84
Hilfreich könnte die Argumentation des OLG Rostock vom 25.5.2000 zur Zuständigkeit nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen sein. Dort hatten die Eltern zunächst mit dem Kind gemeinsam in Deutschland gelebt. Als nach der Trennung der Ehemann nach Toulouse versetzt wurde, vereinbarten sie, dass das Kind abwechselnd bei dem Vater in Toulouse und bei der Mutter in Mecklenburg leben sollte. Das OLG war der Ansicht, dass, wenn ein Kind nach dem Willen seiner Eltern abwechselnd bei dem einen Elternteil im Staat A und dem anderen Elternteil im Staat B lebe, sein gewöhnlicher Aufenthalt i.S.v. Art. 3 HaagKindEntfÜbk unabhängig von der Sechs-Monats-Regel dort verbleibe, wo es sich zu dem Zeitpunkt befand, als der ständige Ortswechsel begann, es sei denn, dass im Ausnahmefall besondere Gründe dafür sprechen, dem Aufenthalt im anderen Staat trotz seiner nur vorübergehenden Anlage den Charakter eines gewöhnlichen Aufenthalts zuzusprechen. Die Wechselfälle begründen also nach dieser historischen Betrachtungsweise – da hier der Aufenthalt in keinem der betroffenen Staaten dauerhaft angelegt ist – keinen neuen gewöhnlichen Aufenthalt. In den "Zugvögel-Fällen" (Mallorca-Rentner) bzw. bei Weltreisenden verbleibt es also beim gewöhnlichen Aufenthalt in der Heimat so lange, bis der gewöhnliche Aufenthalt im Herkunftsstaat aufgegeben und durch einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt ersetzt wird.