Rz. 269
Mit der unechten Gesetzesumgehung wird nicht die Anwendbarkeit bestimmter gesetzlicher Regeln durch das zuständige Gericht um- bzw. ergangen, sondern ihre tatsächliche Anwendung vermieden, indem die Zuständigkeit der sie anwendenden Gerichte vermieden bzw. ausgehöhlt wird.
Rz. 270
Beispiel
Zieht der verwitwete Unternehmer nach Veräußerung seiner Gesellschaft mit seiner Geliebten unter Mitnahme des Erlöses nach Florida, können die testamentarisch übergangenen Kinder in Deutschland die ihnen nach deutschem Recht zustehenden Pflichtteile einklagen. Die Vollstreckung des deutschen Urteils müsste aber in Florida erfolgen und wäre schwierig. Eine Klage in Florida wäre aussichtslos, da aus dortiger Sicht das am domicile des Erblassers geltende Pflichtteilsrecht anzuwenden wäre und das Erbrecht von Florida Pflichtteile für erwachsene Kinder nicht kennt.
Rz. 271
Beim forum shopping erhebt der Kläger die Klage dort, wo das Recht angewandt wird, das zu der von ihm gewünschten Rechtsfolge führt.
So mag im Beispielsfall Rdn 270 die zur Alleinerbin eingesetzte Geliebte gegen die Kinder durch rechtzeitige Klage in Florida möglicherweise eine gerichtliche Feststellung erreichen, dass diesen (nach dem Recht von Florida) gegen den Nachlass keine Ansprüche zustehen. Dieses Urteil wäre dann in Deutschland nach den großzügigen Regeln in § 328 ZPO anzuerkennen, auch wenn ein deutsches Gericht offensichtlich anders entscheiden müsste.
Rz. 272
Der BGH hat sich im Beispiel 2 diese Argumentation zunutze gemacht. So stehe es einer Anerkennung der texanischen Adoptionsentscheidung entgegen, wenn es bei einer Gesamtschau aller Umstände des Sachverhalts mit Händen zu greifen ist, dass die Voraussetzungen für die Entscheidung durch ein ausländisches Gericht nur deshalb herbeigeführt wurden, um die restriktiveren Annahmevoraussetzungen des deutschen Adoptionsrechts für die Annahme Volljähriger und die Rechte der Kinder des Annehmenden zu umgehen. Anhaltspunkte für ein solcherart zu missbilligendes forum shopping können sich beispielsweise daraus ergeben, dass bei der Adoption unübersehbar familienfremde Motive eine Rolle gespielt haben können oder dass einer oder beide Adoptionsbeteiligte ihren Aufenthalts- und Wohnort nur vorübergehend und ausschließlich zum Zweck des Adoptionsverfahrens in den ausländischen Gerichtsstaat verlegt haben.
Bei dieser Argumentation freilich verlässt der BGH den Weg des Gesetzes. § 328 ZPO lässt den Beteiligten ausdrücklich die Wahl, bei konkurrierender Zuständigkeit der Gerichte mehrerer Staaten dort zu klagen, wo die Klage größere Aussicht auf Erfolg hat bzw. wo die Durchführung des Verfahrens einfacher oder billiger ist. Dabei sind die Kläger nicht gezwungen, auf die Interessen des Beklagten oder sonstiger Beteiligter Rücksicht zu nehmen. Das mag der Hintergrund für die Anmerkung des BGH sein, bei dieser Würdigung sei "Zurückhaltung geboten". Freilich sind derart weich gehaltene Ermahnungen erfahrungsgemäß nicht geeignet, das so weit geöffnete Tor zu einem grundsätzlichen Vorbehalt gegen ausländische Urteile bis zu einer Notwendigkeit der Rechtfertigung in allen Fällen der Klage im Ausland wieder zu schließen.
Rz. 273
Praxishinweis
Im Rahmen der EU-Mitgliedstaaten wird durch die rigide Festlegung der gerichtlichen Zuständigkeit auf ein einziges forum (ausschließliche Zuständigkeit) ohnehin das forum shopping weitestgehend ausgeschlossen.