I. Internationale Zuständigkeit für Pflichtteilsklagen
1. Supranationale Rechtsquellen
Rz. 321
Gemäß Art. 4 EuErbVO sind für erbrechtliche Streitigkeiten ausschließlich die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Hatte er eine testamentarische Rechtswahl zugunsten des Rechts eines Staates getroffen, dem er angehörte, so können die Beteiligten des Rechtsstreits diesen durch Gerichtsstandsvereinbarung bzw. rügelose Einlassung gem. Art. 7 EuErbVO vor ein Gericht des Staates ziehen, dessen Recht der Erblasser gewählt hatte. Gem. § 2 Abs. 1 IntErbRVG können sie in diesen Fällen dann auch gleich vereinbaren, welches Gericht örtlich zuständig sein soll.
Rz. 322
Hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat, also in einem Staat, in dem die EuErbVO nicht gilt, so ergibt sich dann, wenn der Erblasser in Deutschland Nachlass hinterließ, aus Art. 10 Abs. 1 EuErbVO eine Zuständigkeit deutscher Gerichte, wenn der Erblasser die deutsche Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt seines Todes besaß (Art. 10 Abs. 1 lit. a EuErbVO) oder, wenn dies nicht der Fall ist, er seinen vorhergehenden gewöhnlichen Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat hatte, sofern die Änderung dieses gewöhnlichen Aufenthalts zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts nicht länger als fünf Jahre zurückliegt (Art. 10 Abs. 1 lit. b EuErbVO).
Die örtliche Zuständigkeit folgt in diesen Fällen aus § 2 Abs. 4 IntErbRVG.
2. Bilaterale Abkommen
Rz. 323
Aus bilateralen Abkommen ergibt sich eine Zuständigkeitsregelung allein im Verhältnis zur Türkei. § 15 des Deutsch-Türkischen Nachlassabkommens von 1929 (siehe Rdn 20) bestimmt für erbrechtliche Klagen wegen beweglichen Nachlasses die Zuständigkeit der Heimatgerichte des Erblassers und wegen unbeweglichen Nachlasses die Zuständigkeit der Gerichte des Belegenheitsstaates. Im Verhältnis zur Türkei führt dies aufgrund der im Nachlassabkommen niedergelegten erbrechtlichen Kollisionsnormen zum Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und Rechtsanwendung.
II. Funktionelle Zuständigkeit für Pflichtteilsklagen
Rz. 324
Die Zuständigkeit der Gerichte nach der EuErbVO umfasst insbesondere folgende Klagearten:
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Feststellung des Erbrechts. Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Kläger aufgrund eines ihm zustehenden Noterbrechts entgegen dem Testament bereits Erbe geworden ist, diese Rechtsstellung also nicht erst durch Urteil herbeigeführt werden muss. Auch kann der testamentarische Erbe gegen die Noterben auf Feststellung klagen, dass sie keine Miterben geworden sind bzw. kein Recht zur Geltendmachung von Noterbrechten besitzen. Allerdings soll die Zuständigkeit in Erbstreitigkeiten die Feststellung der fortgesetzten Gütergemeinschaft nicht umfassen. |
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Anfechtung eines Testaments. |
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Gestaltungsklage aufgrund Erbunwürdigkeit. |
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Leistungsklage gegen die Erben auf Erfüllung von Pflichtteilsansprüchen, ebenso die Erfüllungsklage des Vermächtnisnehmers oder wegen anderer Ansprüche aus Testament. |
Rz. 325
Umstritten war, ob deutsche Gerichte auch für die Entscheidung über eine Herabsetzungsklage zur Herstellung der Noterbrechte zuständig sind. Es handelt sich in den meisten Rechten um eine Gestaltungsklage, welche die testamentarischen Verfügungen ändert. Zuständig sind – wie für Klagen auf die Zahlung von Pflichtteilsansprüchen deutschen Rechts – nicht die Gerichte der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, sondern die Prozessgerichte. Man könnte einwenden, dass im deutschen Zivilprozessrecht der Grundsatz des numerus clausus der Gestaltungsklagen herrsche. Da das deutsche Recht eine entsprechende Klage nicht kenne, sei diese unzulässig. Dagegen wurde schon damals in der Lehre überwiegend angenommen, die Verweisung des deutschen Kollisionsrechts auf ausländisches Erbrecht, welches eine derartige Rechtsgestaltung durch den Richter vorsehe, bringe es mit sich, dass der deutsche Richter entsprechende Urteile fällen müsse.
Rz. 326
Die EuErbVO vermeidet derartige Konstellationen jetzt durch den Gleichlauf von forum und lex. Da internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht gleichermaßen an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers anknüpfen, kommt es grundsätzlich zur Anwendung der lex fori. Hat der Erblasser die Erbfolge seinem Heimatrecht unterstellt oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat gehabt (und verweist dieses Recht nicht auf das deutsche Recht zurück), kann es aber dennoch zur Geltung ausländischen Erbrechts kommen. Hat der Erblasser das Recht eines anderen Mitgliedstaates gewählt, kommt noch die Verweisung an das Gericht dieses Staates in Betracht (soweit ein Beteiligter dem Gericht den Gefallen erweist, einen entsprechenden Antrag zu stellen, Art. 6 Abs. 1 lit. a EuErbVO). In den verbleibenden Fällen besteht aber weiterhin die (wenn nunmehr aber seltener gewordene) Möglichkeit, dass vor deutschen Gerichten eine Klage nach ausländischem Erbrecht erhoben wird und das deutsche Gericht durch Gestaltungsurteil die testamentarischen Verfügungen reduzieren muss. Dabei dürfte sich auf der Basis der EuErbVO wohl keine Möglichkeit ergeben, da...