1. Einheitliche Verfügung über den gesamten Nachlass
Rz. 286
Aufgrund der selbstständigen Behandlung der einzelnen Nachlassteile sind die Pflichtteile für jede Masse getrennt zu beurteilen, und zwar grundsätzlich für jeden Spaltnachlass so, als ob es sich um den gesamten Nachlass handeln würde.
Rz. 287
Beispiel 1
Hinterlässt ein US-amerikanischer Erblasser mit letztem Wohnsitz in Ohio in Deutschland ein Grundstück, verweist für dieses Vermögen das internationale Erbrecht von Ohio auf das deutsche Recht zurück. Wenn der Erblasser sein gesamtes Vermögen seiner Geliebten vermacht hat, können seine erwachsenen Kinder daher in Bezug auf diesen Nachlassteil Pflichtteilsansprüche nach deutschem Recht geltend machen, auch wenn das am letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Ohio geltende Erbrecht ihnen keinerlei Pflichtteile oder ähnliche zwingende Beteiligung am Nachlass gewähren würde.
Beispiel 2
Eine Unternehmerin aus Mannheim hat ihre Eltern zu alleinigen Erben eingesetzt. Ihre Villa in Antalya, deren Wert ca. ¼ ihres Vermögens ausmacht, hat sie ihrer Lebensgefährtin vermacht. Die Eltern könnten nun bzgl. der Villa in Antalya nach dem für diesen Nachlassteil geltenden türkischen Erbrecht (Art. 14 des Deutsch-Türkischen Nachlassabkommens i.V.m. Art. 75 Abs. 1 EuErbVO) einen Pflichtteil im Wert von insgesamt ¼ verlangen und mithin bzgl. des in der Türkei belegenen Immobilienvermögens die Erbeinsetzung der Lebensgefährtin wirtschaftlich auf ¾ reduzieren.
Rz. 288
Im Beispiel 1 widerspricht die Gewährung des Pflichtteils für das deutsche Grundvermögen dem materiellen Erbrecht von Ohio. Die Erhöhung der Pflichtteile durch das türkische Recht im Beispiel 2 widerspricht dem materiellen deutschen Recht, welches die testamentarische hälftige Teilung billigt. Das Ergebnis wird von der h.M. dennoch hingenommen. Bei der Nachlassspaltung sind die nebeneinander auf unterschiedliche Nachlassteile anwendbaren Rechte gleichberechtigt. Auch wenn das Ergebnis – aufs Ganze gesehen – beiden Rechtsordnungen widerspricht, besteht kein Anlass zur Anpassung, da das Ergebnis zwischen den Lösungen beider Rechte liegt, also einen Kompromiss darstellt.
Rz. 289
In einigen Fällen mag sich konkret jedoch eine andere Lösung ergeben. Zunächst wäre nämlich zu prüfen, ob die die Nachlassspaltung anordnende Kollisionsnorm überhaupt im Bereich des Pflichtteilsrechts eine entsprechende strenge Trennung durchsetzen will.
Rz. 290
So wäre im Beispiel 1 zu bedenken, dass im internationalen Erbrecht vieler US-Staaten Pflichtteilsrechte allein nach dem am domicile des Erblassers geltenden Recht bestimmt werden sollen. So wird vermieden, dass bei über mehrere Staaten verstreutem Nachlass die Pflichtteile sich unkoordiniert kumulieren. Aus deutscher Sicht bedeutet das, dass die Rückverweisung sich allein auf die Fragen der Wirksamkeit und Wirkungen des Testaments bezieht, das deutsche Pflichtteilsrecht aber nicht erfasst.
Rz. 291
Im Beispiel 2 ergibt sich aus dem Nachlassabkommen, welches die Nachlassspaltung anordnet, keine entsprechende Regelung. Dennoch wäre hier auf der sachrechtlichen Ebene, also im deutschen materiellen Erbrecht, zu prüfen, welche Konsequenzen sich aus der Herabsetzung der Verfügungen bzgl. des in der Türkei belegenen Immobiliennachlasses für die Anordnungen über den deutschem Erbstatut unterliegenden Nachlass ergeben. Die Erblasserin hatte hier offenbar über ihr Vermögen verfügt, ohne die Nachlassspaltung aufgrund der Belegenheit der Villa in Antalya zu berücksichtigen. Die Eltern sollten mehr als die Hälfte des Nachlasses behalten können und nur ein Viertel an die Lebensgefährtin abgeben. Sie erhalten daher sowohl vor dem Hintergrund des deutschen Erbrechts (Hälfte des Nachlasses) als auch vor dem Hintergrund des türkischen Erbrechts ein Viertel des Nachlasses) mehr als ihren vollen Pflichtteil. Wäre die Erblasserin juristisch beraten gewesen, hätte sie das missliche Ergebnis durch eine geschickte Gestaltung des Testaments leicht vermeiden können, indem sie z.B. der Lebensgefährtin eine testamentarische Erbquote an dem deutschem Erbstatut unterliegenden Nachlass eingeräumt hätte oder ihr durch Vorausvermächtnis eine Kompensation in der Höhe hätte zukommen lassen, in der sich aufgrund der Geltendmachung der Noterbrechte durch die Eltern ihre Beteiligung am türkischen Nachlass reduziert. Denkbar ist auch eine Strafklausel, die die Erbeinsetzung der Eltern, die den Pflichtteil geltend machen, vollständig entfallen lässt.
Unter Umständen wird man im Rahmen ergänzender Auslegung das Testament dahingehend ausdeuten können, dass der Wert des von den Eltern erstrittenen zusätzlichen Viertels an dem türkischen Spaltnachlass ihnen bei der Verteilung des deutschem Erbstatut unterliegenden Nachlasses wieder angerechnet bzw. herausgegeben werden muss. Denn selbst wenn sich die Erbstatute jeweils auf den ihnen zugeordneten Spaltnachlass beschränken, ist dennoch das Testament auf den gesamten Nachlass bezogen und – für den deutschem Erbstatut unterliegenden Nachlass – entsp...