1. Multilaterale Abkommen
Rz. 327
Gemäß Art. 39 Abs. 1 EuErbVO werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Für die Vollstreckung sehen freilich die Art. 43 ff. EuErbVO die Durchführung eines vereinfachten Verfahrens (Exequatur) vor. Dies ist insoweit auffällig, als für andere Entscheidungen in vermögensrechtlichen Angelegenheiten durch die 2012 erfolgte Reform der Brüssel I-VO das Erfordernis der Vollstreckbarerklärung abgeschafft wurde.
2. Bilaterale Abkommen
Rz. 328
Im Verhältnis zu einigen Staaten bestehen bilaterale Abkommen, die eine gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen auch in Erbstreitigkeiten ermöglichen. Die meisten enthalten den ausdrücklichen Vorbehalt, dass das Urteil nicht anzuerkennen ist, wenn der betroffene Erblasser Staatsangehöriger des Anerkennungsstaates war und das Gericht des Urteilsstaates die Frage nach dem anwendbaren Recht anders entschieden hat, als nach dem IPR des Anerkennungsstaates zu entscheiden wäre – sofern nicht auch bei Anwendung des aus Sicht des Anerkennungsstaates anwendbaren Rechts das gleiche Urteil hätte gefällt werden müssen (IPR-Vorbehalt). Dies gilt für die Abkommen mit der Schweiz, Italien, Belgien, Österreich, den Niederlanden, Tunesien, der Türkei, Norwegen und Spanien. Ein forum shopping soll so ausgeschlossen werden. Im Verhältnis zu Italien, Belgien, Österreich, den Niederlanden und Spanien gilt nun die EuErbVO, die gem. ihrem Art. 75 Abs. 2 die bilateralen Abkommen ersetzt. Im Verhältnis zur Schweiz und zu Norwegen dürfte die Anknüpfung an den "Wohnsitz" dort regelmäßig zur Geltung des gleichen Rechts wie die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt nach der EuErbVO führen. Keinen entsprechenden Vorbehalt enthält das Abkommen mit Großbritannien.
Rz. 329
Weitere Voraussetzung für die Anerkennung ist nach den Abkommen mit Italien, Belgien, Großbritannien, den Niederlanden, Tunesien, Norwegen, der Türkei und Spanien, dass die im Abkommen bestimmten Zuständigkeitsregeln eingehalten wurden. Gerafft ergibt sich folgende Übersicht:
Abkommensstaat |
Anerkennungszuständigkeit |
IPR-Vorbehalt |
Belgien |
Wohnsitz des Erblassers bzw. des Beklagten, Prorogation – gem. Art. 75 Abs. 2 EuErbVO nicht mehr anwendbar |
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Griechenland |
nach Regeln des Urteilsstaates – gem. Art. 75 Abs. 2 EuErbVO nicht mehr anwendbar |
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Großbritannien |
nur obergerichtliche Urteile, Zuständigkeit nach Regeln des Urteilsstaates |
nein |
Italien |
Heimatstaat des Erblassers, Wohnsitz des Beklagten, Prorogation – gem. Art. 75 Abs. 2 EuErbVO nicht mehr anwendbar |
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Niederlande |
Wohnsitz des Erblassers – gem. Art. 75 Abs. 2 EuErbVO nicht mehr anwendbar |
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Norwegen |
Wohnsitz des Erblassers, Prorogation |
ja |
Österreich |
ausgeschlossen, wenn nach dem Recht des Anerkennungsstaates die Gerichte eines anderen Staates ausschließlich zuständig waren – gem. Art. 75 Abs. 2 EuErbVO nicht mehr anwendbar |
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Schweiz |
Wohnsitz des Beklagten, Prorogation |
ja |
Spanien |
Heimatstaat des Erblassers, Wohnsitz des Beklagten – gem. Art. 75 Abs. 2 EuErbVO nicht mehr anwendbar |
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Tunesien |
Heimatstaat des Erblassers, Wohnsitz des Beklagten |
ja |
Türkei |
Heimatstaat für beweglichen, Belegenheitsstaat für unbeweglichen Nachlass |
nein |
3. Anerkennung nach autonomem Recht
Rz. 330
Außerhalb des Anwendungsbereichs der EuErbVO gelten die autonomen Regeln über die Anerkennung ausländischer Urteile. Dies betrifft zunächst Entscheidungen aus den Staaten, die nicht Mitgliedstaaten i.S.d. EuErbVO sind und im Verhältnis zu denen kein bilaterales Abkommen besteht (siehe Rdn 328). Aber auch im Verhältnis zu den Staaten, mit denen ein Abkommen gezeichnet wurde, kommt die Anerkennung nach den autonomen Regeln ggf. dann in Betracht, wenn die im Abkommen vereinbarten Voraussetzungen für die Anerkennung nicht erfüllt sind. Dies gilt z.B. dann, wenn das Abkommen einen IPR-Vorbehalt enthält, welchen das autonome deutsche internationale Zivilprozessrecht nun nicht mehr vorsieht (Günstigkeitsprinzip).
Rz. 331
Die Anerkennung ausländischer Urteile erfolgt nach § 328 ZPO. "Anerkennung" bedeutet dabei, dass die ausländische Entscheidung im Inland ipso iure die gleichen Wirkungen entfaltet wie eine inländische; eines besonderen Anerkennungsakts bedarf es dazu nicht. Dies betrifft insbesondere die auf Herabsetzung pflichtteilsverletzender Verfügungen des Erblassers gerichteten Gestaltungsurteile. Allein zur Zwangsvollstreckung von Leistungsurteilen ist ein Exequatur nach §§ 722...