1. Beachtlichkeit ausländischen Kollisionsrechts
Rz. 89
Gemäß Art. 34 Abs. 1 EuErbVO ist nach Verweisung auf ausländisches Recht kraft Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers auch das ausländische Kollisionsrecht anzuwenden (Gesamtverweisung). Hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, verweist Art. 21 Abs. 1 EuErbVO auf das ausländische Recht. Dabei erfasst diese Verweisung auch das internationale Erbrecht seines Heimatstaates (Art. 34 Abs. 1 EuErbVO). Gilt auch nach dem ausländischen IPR das Recht dieses Staates, nimmt das ausländische Recht die Verweisung an. Erst dann ist dieses Recht (aus deutscher wie auch aus dortiger Sicht) Erbstatut und das ausländische materielle Erbrecht anzuwenden.
Rz. 90
Eine Ausnahme gilt, wenn die deutsche Kollisionsnorm ausdrücklich nur auf das ausländische materielle Recht unter Ausschluss des ausländischen IPR verweist (Sachnormverweisung, Art. 34 Abs. 2 EuErbVO). Solche Sachnormverweisungen befinden sich z.B. in Art. 27 Abs. 1 EuErbVO für die Formwirksamkeit von Erbverträgen, bei Verweisung auf ausländisches Recht kraft Rechtswahl oder bei "engster Verbindung" i.S.v. Art. 21 Abs. 2 EuErbVO.
Rz. 91
Keine Rückverweisung kann sich schließlich ergeben, wenn sich der gewöhnliche Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat der EuErbVO befindet. Dann gilt dort die gleiche Anknüpfung, so dass die Verweisung zwangsläufig "angenommen" wird.
2. Einfache Rückverweisung
Rz. 92
Beispiel
Der Erblasser war deutscher Staatsangehöriger. Er lebte die letzten zehn Jahre seines Lebens mit seinem Lebensgefährten in Kairo, wo beide zusammen einen Computergroßhandel aufgebaut hatten. Testamentarisch hatte er seinen Anteil am Unternehmen seinem Partner vermacht. Die in Hamburg lebenden Eltern des Erblassers machen gegen den Lebensgefährten Pflichtteilsansprüche geltend. Das Landgericht will die Klage nach ägyptischem Recht beurteilen und verlangt die Einholung eines Rechtsgutachtens.
In Ägypten wird die Erbfolge in Art. 17 des Zivilgesetzbuchs dem Heimatrecht des Erblassers unterstellt. Aus ägyptischer Sicht gilt wegen der Staatsangehörigkeit des Erblassers daher deutsches Erbrecht. Diese Rückverweisung auf das deutsche Recht wird gem. Art. 34 EuErbVO befolgt. Da mithin deutsches Recht gilt, können sich die Eltern im Beispiel gem. § 2303 Abs. 2 S. 1 BGB auf einen Pflichtteil berufen.
Rz. 93
Erfasst die rückverweisende Kollisionsnorm auch das inländische IPR, wie z.B. die Verweisung auf die deutsche Staatsangehörigkeit des Erblassers, träfe die Rückverweisung auf Art. 21 EuErbVO, der seinerseits wieder auf das ausländische Recht verweisen würde. Folge wäre ein endloses "Tennis-Match" von Hin- und Rückverweisungen. Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB bestimmt daher, dass jede Rückverweisung so zu behandeln ist, als handele es sich um eine Verweisung unmittelbar auf deutsches materielles Recht (Sachnormverweisung), und bricht damit den Verweisungszirkel in Deutschland ab.
Rz. 94
Art. 34 EuErbVO enthält keine Regelung dazu, dass die Rückverweisung im Inland abzubrechen ist. Daher ist ungeklärt, wie die Rückverweisung im Inland zu behandeln ist. M.E. handelt es sich hier offenbar um einen Redaktionsfehler bei Entwurf der EuErbVO. Die wohl nahezu einhellige Ansicht in Deutschland geht aber stillschweigend davon aus, dass in diesem Fall so zu verfahren ist, als ob Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB entsprechend gelten würde.
3. Gespaltene Rückverweisung
Rz. 95
In vielen Rechtsordnungen wird das Erbstatut nicht einheitlich angeknüpft, also z.B. an die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz des Erblassers (Nachlasseinheit), sondern für Liegenschaften oder gar sämtliche Nachlassgegenstände an den jeweiligen Belegenheitsort. Verteilt sich der Nachlass über mehrere Staaten, gelten für die Erbfolge der einzelnen Teile verschiedene Rechtsordnungen (Nachlassspaltung). Hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem dieser Staaten, kann über den Renvoi auch aus deutscher Sicht eine Nachlassspaltung eintreten, aufgrund derer der Nachlass in rechtlich voneinander unabhängig abzuhandelnde Teile zerfällt (gegenständliche Nachlassspaltung). Grundsätzlich sind dann auch die Pflichtteile für jeden dieser Spaltnachlässe so zu bestimmen, als ob es die anderen Teile nicht gäbe.
Rz. 96
Beispiel
Ein in Thailand verstorbener Erblasser mit französischer Staatsangehörigkeit hinterlässt Beteiligungen an deutschen Unternehmen, ein Bürogebäude in Duisburg und ein Weingut bei Dijon. Testamentarisch hat er seine alleinstehende Geschäftsassistentin zur Alleinerbin eingesetzt. Die Ehefrau und die drei Kinder des Erblassers fragen, welche Pflichtteile ihnen zustehen.
Rz. 97
Art. 21 Abs. 1 EuErbVO verweist für die Erbfolge auf das thailändische Aufenthaltsrecht des Erblassers. Das thailändische internationale Erbrecht unterscheidet zwischen beweglichem und unbeweglichem Nachlass.
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Für das bewegliche Vermögen gilt das Wohnsitzrecht des Erblassers, für die Immobilien gilt das jeweilige Belegenheitsrecht (lex rei sitae). Sofern der letzte Wohnsitz des Erblassers i.S.d. französischen Rechts in Thailand anzusiedeln war, nimm... |