1. Besonderheiten der interlokalen Rechtsspaltung
Rz. 105
In einigen Staaten ist das Erbrecht nicht einheitlich geregelt, sondern es gelten in einzelnen Landesteilen eigenständige Regelungen. Das betrifft in Europa z.B. das Vereinigte Königreich (England und Wales, Schottland, Nordirland) und Spanien (autonomes Recht in Aragon, Katalonien, Navarra, Galizien, im Baskenland und auf den Balearen sowie "gemeinspanisches Recht" in den übrigen Landesteilen), Bosnien-Herzegowina, früher auch die Föderation Serbien-Montenegro. Außereuropäische Beispiele sind die USA, Kanada, Australien, Mexiko und China. Nach Verweisung auf das Recht eines solchen Staates ist das einschlägige Sachrecht noch nicht ermittelt.
Rz. 106
Beispiel
Ein Deutscher verstirbt mit letztem Lebensmittelpunkt in San Diego. Aufgrund des letzten gewöhnlichen Aufenthalts in Kalifornien ist hier gem. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO das Recht der USA anzuwenden. Damit stellt sich die Frage, welches Recht eines welchen der einzelnen US-Staaten anzuwenden ist.
2. Vorgehensweise bei interlokaler Rechtsspaltung mit einheitlichem interlokalem Privatrecht
Rz. 107
Art. 36 Abs. 1 EuErbVO bestimmt, dass nach Verweisung auf das Recht eines Staates mit mehreren Rechtssystemen zur Bestimmung der einschlägigen Teilrechtsordnung vorrangig auf ein einheitliches interlokales Kollisionsrecht dieses Staates abzustellen ist. Staaten mit einem entsprechenden einheitlichen interlokalen Kollisionsrecht sind selten. Ein solches gab es im früheren Jugoslawien und gibt es heute immer noch z.B. in Spanien. Bei Verweisung auf das spanische Recht ist also die in Art. 14 des spanischen Código civil vorgesehene Anknüpfung an die vecindad civil zu befolgen. Es wäre nach den Regeln des spanischen Rechts die vecindad civil zu ermitteln und dann auf dieser Basis die einschlägige Teilrechtsordnung – also eine bestimmte autonome oder die gemeinspanische Regelung – anzuwenden. Bekanntermaßen ergeben sich hier nun erhebliche Probleme daraus, dass nach spanischem Recht ausländische Staatsangehörige keine vecindad civil erwerben können. Die Anknüpfung an die vecindad civil geht damit ins Leere.
Rz. 108
In den USA (wie auch im Vereinigten Königreich und in Kanada, China und Australien) existiert ebenfalls kein einheitliches interlokales Privatrecht. Vielmehr hat jeder Staat sein eigenes Erbkollisionsrecht (law of conflict), welches gleichermaßen auf internationale wie auch auf interlokale Rechtskollisionen angewandt wird. Daher ist im Beispielsfall auf die Regelung des Art. 36 Abs. 2 EuErbVO zurückzugreifen.
3. Interlokale Rechtsspaltung in Staaten ohne einheitliches interlokales Privatrecht
Rz. 109
Art. 36 Abs. 2 EuErbVO sieht ein interlokales Ersatz-Kollisionsrecht vor. Dieses verfährt differenziert danach, aufgrund welcher Anknüpfung die EuErbVO auf das ausländische Recht verwiesen hat:
a) Bei Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt
Rz. 110
Gemäß Art. 36 Abs. 2 lit. a EuErbVO gilt jede Verweisung aufgrund Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit, in der der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Konkret bedeutet das, dass bei einer Verweisung aufgrund von Art. 21 EuErbVO (sei es unmittelbar, sei es aufgrund einer Verweisung in Art. 24, 25 EuErbVO etc.) der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers nicht nur in Bezug auf einen bestimmten Staat zu bestimmen ist, sondern dieser auch innerhalb eines bestimmten Staates auf eine bestimmte Gebietseinheit einzugrenzen ist. Die internationale Verweisung wird also in den interlokalen Bereich hinein "verlängert".
Rz. 111
Im Beispielsfall (Rdn 106) hatte der Erblasser in den USA seinen gewöhnlichen Aufenthalt im US-Staat Kalifornien. Daher ist hier das Recht von Kalifornien anzuwenden. Noch vor Anwendung der materiell-rechtlichen Regeln des kalifornischen Probate Code freilich sind die kalifornischen Erbkollisionsnormen daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht eine Rückverweisung auf das deutsche Recht oder das Recht eines anderen Mitgliedstaates der EuErbVO aussprechen (Art. 34 Abs. 1 EuErbVO).
b) Bei Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit
Rz. 112
Beispiel
Ein aus Los Angeles stammender US-Amerikaner, der zuletzt mit seiner Ehefrau in New York lebte und nach Trennung von ihr nun mit seiner Freundin in Düsseldorf wohnt, möchte für seine Erbfolge gerne kalifornisches Erbrecht wählen. Dieses sieht – anders als das in New York geltende Recht – für die Witwe keine zwingenden Rechte vor, so dass die Erbeinsetzung seiner Lebensgefährtin nicht beeinträchtigt würde.
Rz. 113
Eine Verweisung aufgrund Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Erblassers gilt gem. Art. 36 Abs. 2 lit b EuErbVO als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit, zu der der Erblasser die engste Verbindung hatte. Diese Regelung betrifft effektiv aufgrund des Ausschlusses einer objektiven Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit in der EuErbVO ausschließlich die Fälle der Anwendung ausländischen Rechts aufgrund einer Rechtswahl des Erblassers (Art. 22, 24 Abs. 2, 25 Abs. 3 EuErbVO).
Rz. 114
Damit ergibt sich, dass in dem Fall, dass der Heimatstaat keine einheitliche Rechtsordnung kennt, der Testator nur das Recht des Gesamtstaates wählen kann, nicht aber unmittelbar ...