Rz. 225
Beispiel
Ein zuletzt in Bologna lebender italienischer Staatsangehöriger war u.a. an einer in Form einer OHG betriebenen Speditionsgesellschaft mit Sitz in Aachen beteiligt. Testamentarische Alleinerben sind seine beiden Töchter. Der Sohn macht nun seinen Pflichtteil geltend.
Rz. 226
Gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. h EuErbVO sind "Fragen des Gesellschaftsrechts, des Vereinsrechts und des Rechts der juristischen Personen, wie Klauseln im Errichtungsakt oder in der Satzung einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer juristischen Person, die das Schicksal der Anteile verstorbener Gesellschafter beziehungsweise Mitglieder regeln", ausdrücklich vom Anwendungsbereich der EuErbVO ausgenommen.
Rz. 227
Die für das Verhältnis von Erbstatut zum Sachenstatut geltende Regel, dass das für die einzelnen Rechtspositionen maßgebliche Recht (Einzelstatut) darüber bestimmt, was überhaupt in den Nachlass fällt und damit zur Verteilung anstehen kann bzw. welche Rechte daran begründet werden können, dass das Erbstatut dagegen darüber entscheidet, auf wen und in welcher Weise die Gegenstände übergehen, gilt weitgehend auch für die Vererbung von Gesellschaftsanteilen: Gilt die Gesellschaft nach dem maßgeblichen Gesellschaftsstatut mit dem Erbfall als aufgelöst oder scheidet der verstorbene Gesellschafter ersatzlos aus, fällt nichts bzw. lediglich der nach dem Gesellschaftsstatut entstandene Abfindungsanspruch in den Nachlass.
Rz. 228
Umstritten ist die kollisionsrechtliche Behandlung der Sondererbfolge, bei der Erben unabhängig von der Ausgestaltung ihrer Beteiligung am Nachlass unmittelbar eine Gesellschafterstellung erwerben, oder bei sog. qualifizierten Nachfolgeklauseln, mit denen Eintrittsrechte einzelner Erben oder Dritter bewirkt werden. Während man sich über den Vorrang der Nachfolgeregeln des Gesellschaftsstatuts im Ergebnis einig ist, differieren die Begründungen:
Rz. 229
Eine neuere Ansicht weist darauf hin, dass die "Sondererbfolge" und der Erwerb im Wege von Nachfolgeklauseln keinen erbrechtlichen Erwerb, sondern einen gesellschaftsrechtlich zu qualifizierenden Rechtsübergang darstellen. Da das deutsche Gesellschaftsrecht die gesamthänderische Beteiligung an OHG-Anteilen nicht zulässt, kann ein OHG-Anteil nicht durch eine gesamthänderisch organisierte Erbengemeinschaft ausländischen Rechts gehalten werden. Damit ergibt sich eine Lösung bereits aus einer sachgerechten Qualifikation und einer Zuordnung zum Gesellschaftsstatut; einer Konstruktion über Art. 30 EuErbVO bedarf es nicht.
Rz. 230
Daraus folgt für das Pflichtteilsrecht, dass das Gesellschaftsstatut das Erbstatut nur so weit verdrängt, als dies den Übergang des Geschäftsanteils auf die Eintrittsberechtigten bzw. die Anwachsung an die Mitgesellschafter betrifft. Die Maßgeblichkeit des nach den erbrechtlichen Kollisionsnormen berufenen Pflichtteilsrechts für die zwingende Beteiligung der Angehörigen bleibt vielmehr unberührt. Übergangene Angehörige könnten den Wert des Gesellschaftsanteils bei der Berechnung von Pflichtteilen, Pflichtteilsergänzungsansprüchen oder family provision nach Maßgabe des Erbrechts geltend machen. Steht ihnen nach dem Erbstatut eine dingliche Beteiligung am Nachlass (echte Noterbrechte) zu, so können sie womöglich durch Herabsetzungsklage das zugrunde liegende Rechtsverhältnis (Schenkung von Todes wegen, Vermächtnis etc.) anfechten und damit einen Anspruch des Nachlasses auf Rückübertragung eines entsprechenden Teils des Anteils begründen.
Rz. 231
Im Beispielsfall könnte der Sohn nach dieser Ansicht durch Geltendmachung seines Pflichtteils nach italienischem Recht vor dem zuständigen Gericht in Bologna für den gesamten Nachlass, einschließlich der OHG-Anteile, sein Noterbrecht i.H.v. 2/9 wiederherstellen, würde Miterbe und in Höhe dieser Quote der väterlichen Beteiligung (auf der Basis der Sondererbfolge) unmittelbar Gesellschafter in der OHG werden.