Rz. 469
Das in dieser Vorschrift definierte sog. Gleichwertigkeitserfordernis wird aufgrund des Interesses des Versicherers, nur solche Behandlungsmethoden zu finanzieren, die – im Ergebnis – der Schulmedizin entsprechen, überwiegend als berechtigt ansehen. In der Praxis erweist sich das Gleichwertigkeitserfordernis als nicht unproblematisch, da die Frage der Gleichwertigkeit von Methoden der Schulmedizin und solchen Methoden, die ebenso erfolgversprechend sind, nicht einfach zu beantworten ist. Dadurch ist der Versicherungsnehmer – soll er diese Frage beweisen und das Risiko eines Prozesses selbst bewerten – häufig gegenüber dem Versicherer überfordert.
Rz. 470
Die Frage der Gleichwertigkeit verschiedener medizinischer Behandlungsmethoden, einerseits die Methode der Schulmedizin und andererseits solche der alternativen Medizin, lässt sich generell und nicht nur im Einzelfall sehr schwer klären. Der Versicherungsnehmer ist gerade in diesen Fällen über die einzelnen Erfolgsaussichten der Behandlungen oder Arzneimittel, über ihre Wirksamkeit, über ihre Nebenwirkungen sehr wenig informiert und kann sich eine einigermaßen fundierte Überzeugung hiervon kaum bilden. Darüber hinaus erscheint es schwierig, die Gleichwertigkeit von medizinischen Behandlungsmethoden und Arzneimitteln im Einzelfall zu prüfen, da sowohl die Behandlungsmethoden als auch die Arzneimittel häufig neben einer positiven Wirkung auch Nebenwirkungen haben, die möglicherweise den Erfolg forcieren, demgegenüber für den Patienten mit erheblichen Einbußen verbunden sind. Vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, ob etwa Medikamente, die weniger Nebenwirkungen und damit auch eine u.U. längere Heilungszeit haben, als gleichwertig angesehen werden können. Jedenfalls ist eine solche Beurteilung für den Versicherungsnehmer, insbesondere in einem Rechtsstreit gegen den Versicherer, äußerst problematisch.
Rz. 471
Vor dem Hintergrund des Transparenzgebots ist die Klausel daher von den Instanzgerichten zum Teil als unwirksam angesehen worden. Sie ist jedoch nach Auffassung des BGH wirksam und hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 u. 2 BGB stand, denn:
Zitat
§ 4 Abs. 6 S. 1 MB/KK regelt die Leistungspflicht für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Nach Satz 2 Hs. 1 umfasst die Leistungspflicht "darüber hinaus" in zwei Fällen auch andere Methoden und Arzneimittel. Die Alternative 1 in Satz 2 betrifft die Erstattung von Aufwendungen, die bei einer Heilbehandlung unter Anwendung von Methoden und Arzneimitteln der alternativen Medizin entstehen.
Aus dem Erfordernis der auf Satz 1 verweisenden "ebenso erfolgversprechenden" Bewährung in der Praxis muss zweierlei entnommen werden: Zum einen müssen Methoden und Arzneimittel der alternativen Medizin in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich aufgrund praktischer Erfahrung grundsätzlich geeignet sein, den angestrebten Erfolg der Heilbehandlung i.S.v. § 1 Abs. 1 und 2 MB/KK ebenso zu bewirken wie Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Zum anderen kommt es nur auf die gleiche Erfolgsprognose und nicht darauf an, dass sich die Heilbehandlungen etwa in Art, Ausführung und Dauer gleichen.
Die Alternative 2 bezieht sich demgemäß auf Heilbehandlungen, für die zum einen keine schulmedizinischen Methoden und Arzneimittel i.S.v. Satz 1 und zum anderen keine ebenso erfolgversprechenden Methoden und Arzneimittel i.S.d. 1. Alternative von Satz 2 Hs. 1 zur Verfügung stehen. Gibt es aber weder schulmedizinisch überwiegend anerkannte noch andere ebenso erfolgversprechende Methoden und Arzneimittel, wird der Versicherungsnehmer den Anwendungsbereich der Alternative 2 auf Methoden und Arzneimittel beziehen, die insbesondere im Bereich der unheilbaren oder unerforschten Krankheiten angewandt werden, gleichviel ob die Behandlungsansätze der Schulmedizin oder der Alternativmedizin zuzuordnen sind.
In seiner weiteren Entscheidung hat der BGH diese Grundsätze nochmals zusammengefasst, jedoch ausdrücklich zudem hervorgehoben, dass auch bei inkurablen Erkrankungen zunächst zu prüfen ist, ob sich der Versicherte auf schulmedizinisch etablierte Behandlungen überhaupt verweisen lassen muss. Hierbei sind zunächst Feststellungen zu treffen, welchem konkreten Behandlungsziel (Heilung einer Krankheit, Verhütung ihrer Verschlimmerung oder Linderung der Krankheitsbeschwerden) die jeweiligen Behandlungsansätze dienen und welchen Erfolg sie versprechen.
Da die Möglichkeit der Heilung als vorrangiges Behandlungsziel und solche betreffend die Verhütung einer Verschlimmerung oder der bloßen Linderung von Krankheitsbeschwerden regelmäßig als nachrangige Behandlungsziele anzusehen sind, muss sich ein Versicherter nicht auf schulmedizinische Methoden verweisen lassen, die solchen nachrangigen Behandlungszielen dienen, wenn andere Methoden das vorrangige Behandlungsziel der Heilung der Krankheit verfolgen.
Bietet also die Schulmedizin nur noch palliative, also ...