Rz. 25

In der Person des Verletzten kommen als Bemessungsfaktoren namentlich Art, Intensität und Dauer der Beeinträchtigungen,[60] die erforderlichen (medizinischen) Behandlungen, etwa bleibende Schäden, die Unsicherheit über die weitere Entwicklung,[61] die Vereitelung eigener persönlicher oder beruflicher Lebensvorstellungen und vieles mehr in Betracht; nicht jedoch das Geschlecht.[62]

Aus der Vielzahl sonach im Einzelfall gegebenenfalls berücksichtigungsfähiger Umstände sollen nachfolgend einige in der Praxis besonders bedeutsame näher betrachtet werden:

 

Rz. 26

1. Ob schon tatbestandlich mangels eines "Schadens"[63] oder/und – wohl richtigerweise nur – als Rechtsfolgenfrage der "Billigkeit" einer Entschädigung gemäß § 253 Abs. 2 BGB: Nach ebenso zutreffender wie gefestigter und – jedenfalls im Grundsatz zu Recht allgemein akzeptierter[64] – höchstrichterlicher Rechtsprechung ist für den Zuspruch einer "billigen Entschädigung in Geld" gemäß § 253 Abs. 2 BGB unterhalb einer gewissen Bagatell- bzw. Geringfügigkeitsgrenze kein Raum. Unter Berücksichtigung dessen, dass auch mit alltäglichen Kontakten im Rahmen verdichteten menschlichen Zusammenlebens gewisse Beeinträchtigungen – nicht nur, aber insbesondere hinsichtlich des Körpers bzw. der Gesundheit – unausweichlich einhergehen, entfällt danach eine Entschädigungspflicht, wenn das Wohlbefinden des Verletzten allenfalls kurzfristig und unerheblich beeinträchtigt worden ist. Dies wurde beispielsweise angenommen bei einer geringfügigen Platz- oder Schürfwunde, Schleimhautreizung, Prellung oder nicht-objektivierbaren HWS-Distorsion.[65] Zu beachten ist freilich, dass speziell die fehlende Objektivierbarkeit geltend gemachter Schmerzen keine – materiell rechtliche – Frage der Geringfügigkeit, sondern allenfalls ein – prozessuales – Problem im Rahmen der § 286 ZPO bzw. § 287 ZPO darstellt.[66] Davon abgesehen ist bei verfassungskonformer Auslegung der "Billigkeit", speziell unter Berücksichtigung des grundgesetzlich zu beachtenden besonderen Stellenwerts des Schutzes der Unversehrtheit der menschlichen Person, bei der Annahme einer "Geringfügigkeit" generell Zurückhaltung angezeigt.[67] Das gilt ungeachtet dessen, dass der Gesetzgeber die richterrechtlich anerkannte Geringfügigkeitsgrenze im Rahmen des Zweiten Schadensrechtsänderungsgesetzes nicht etwa nur bewusst nicht abschaffen, sondern diese zunächst sogar explizit kodifizieren wollte, letzteres zuletzt lediglich mit Blick auf die entsprechende, gefestigte Rechtsprechung für entbehrlich gehalten hat.[68]
2. Auf der anderen Seite hat die frühere Rechtsprechung auch in Fällen schwerster Verletzungen, namentlich Hirnschäden bzw. solcher, die nach bisherigem wissenschaftlichem Erkenntnisstand zu einem Erlöschen der geistigen Fähigkeit bzw. weitgehendem Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit führten, einen Schmerzensgeldanspruch – mangels entsprechender Wahrnehmung immaterieller Beeinträchtigungen seitens des Geschädigten – verneint bzw. stark gemindert und eine "symbolische Wiedergutmachung" für ausreichend erachtet.[69] Hiervon hat die höchstrichterliche Rechtsprechung inzwischen zu Recht Abstand genommen und spricht nunmehr auch in solchen Fällen weitreichender Zerstörung der Persönlichkeit Schmerzensgeldansprüche zu;[70] schließlich stelle die Einbuße der Persönlichkeit, der Verlust an personaler Qualität infolge schwerer Hirnschädigung schon für sich einen auszugleichenden immateriellen Schaden dar, unabhängig davon ob der Betroffene die Beeinträchtigung empfinde.[71] Freilich kann der Richter je nach dem Ausmaß der jeweiligen Beeinträchtigung und dem Grad der dem Verletzten verbliebenen Erlebens- und Empfindungsfähigkeit Abstufungen vornehmen, um den Besonderheiten des jeweiligen Schadensfalls Rechnung zu tragen.[72] Es ist jedoch nicht zulässig, sich an einem nur gedachten Schadensbild, das von einer ungeschmälerten Empfindungs- und Leidensfähigkeit gekennzeichnet ist, zu orientieren und sodann mit Rücksicht auf den vollständigen oder weitgehenden Wegfall der Empfindungsfähigkeit Abstriche vorzunehmen. Auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes in den Fällen, in denen dem Verletzten wegen des Ausmaßes der Zerstörung seiner Persönlichkeit die Empfindungsfähigkeit fehlt, kommt dem Umstand erhebliche Bedeutung zu, wie lange der Geschädigte das Schadensereignis überlebt hat.
3. Zwar rechtfertigt einhelliger Ansicht nach die Beendigung des Lebens als solche – anders als in anderen Rechtsordnungen – nach bestehendem deutschem Recht keinen Schmerzensgeldanspruch. Dagegen rechtfertigt bei Vorliegen einer tatbestandlichen Verletzung im Sinne von § 253 Abs. 2 BGB eine Todesangst generell ein (erhöhtes) Schmerzensgeld.[73] So hat etwa in einem deliktsrechtlichen Sachverhalt das OLG Koblenz[74] einem Mann, der mehrere Jahre in Todesangst lebte, weil er wurste, dass er umgebracht werden sollte, erfolglos einen Wohnungswechsel vornahm, ihn mehrere Pistolenschüsse trafen, er zunächst fliehen konnte, dann aber durch ...

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