1. Mit Vertragsschluss
Rz. 95
Der Versicherungsschutz beginnt nach VVG grds. mit Abschluss des Versicherungsvertrages. Hierzu gelten die allgemeinen Regeln des BGB. Diese werden durch das VVG modifiziert. Durch die VVG-Reform wurden die Versicherer verpflichtet, den möglichen Vertragspartnern die Vertragsunterlagen rechtzeitig vor Antragstellung zur Verfügung zu stellen (§ 7 Abs. 1 VVG). Das sog. Policenmodell für den Vertragsabschluss ist damit überholt. I.d.R. kommt der Versicherungsvertrag nunmehr durch das Antragsmodell zustande, d.h. der Versicherungsnehmer stellt den Antrag auf Abschluss eines Versicherungsvertrages, nachdem ihm sämtliche Vertragsunterlagen zur Verfügung gestellt wurden, und der Versicherer nimmt den Antrag anschließend an, sei es ausdrücklich, sei es konkludent durch Übersendung der Police. Daneben lässt das Gesetz auch das Invitatio-Modell zu. Aufgrund einer unverbindlichen Anfrage erhält der Versicherungsnehmer die Vertragsunterlagen zusammen mit einem Angebot. Dieses Angebot kann er dann seinerseits annehmen, ggf. auch hier konkludent durch Zahlung der Erstprämie. Die in anderen Versicherungszweigen teilweise wichtige Unterscheidung zwischen technischem, formellem und materiellem Versicherungsbeginn spielt in der Anwaltshaftpflichtversicherung keine Rolle, weil sie ohnehin die Folgen unbekannter Verstöße aus der Vergangenheit mit einbeziehen kann, § 2 II AVB.
Von dem Grundsatz, dass der Versicherungsschutz mit dem Abschluss des Vertrages beginnt, macht die sog. Einlösungsklausel eine Ausnahme (näher hierzu vgl. Rdn 105).
2. Vorwärtsversicherung
Rz. 96
Vom Beginn und Ende des zeitlichen Geltungsbereichs hängt die Frage der Leistungspflicht des Versicherers ab. Da der Verstoß (Kausalereignis) der Versicherungsfall ist (§ 5 I AVB), ist der Versicherer leistungspflichtig, wenn der Anwalt während der versicherten Zeit gegen seine Rechtspflichten verstößt. Sein Versicherungsschutz liegt kongruent zu seiner Berufsausübungszeit. Es kommt also nicht darauf an, wann die Folgen des Verstoßes (Folgeereignis) eintreten, wann etwa ein Dritter Schadensersatzansprüche erhebt oder jedenfalls für möglich hält. Grds. sind also solche Verstöße nicht gedeckt, die vor Beginn des Versicherungsschutzes begangen wurden, auch wenn sich die Folgen dieses Verstoßes erst in versicherter Zeit zeigen (Ausnahme Rückwärtsversicherung, vgl. Rdn 98). Diese zeitliche Kongruenz zwischen Versicherungsschutz und Berufsausübung wurde durch die geänderte Rechtsprechung zur akzessorischen Haftung der Sozien in der GbR aufgeweicht. Für die Partnerschaftsgesellschaft hat der BGH klargestellt, dass ein "Befasstsein" i.S.d. § 8 Abs. 2 PartGG auch dann vorliegt, wenn ein Partner zum Zeitpunkt des Verstoßes noch nicht Kanzleimitglied war, aber anschließend den Fall übernimmt oder zumindest Bearbeitungsbeiträge von nicht ganz untergeordneter Bedeutung erbringt. Diese Haftungssituation könnte also problematisch sein für Rechtsanwälte, die neu als Sozien in eine GbR oder eine Partnerschaftsgesellschaft eintreten, in der sich Angehörige freier Berufe zu gemeinsamer Berufsausübung zusammengeschlossen haben (vgl. § 1 Rdn 391ff.
Rz. 97
Das Verstoßprinzip bringt es mit sich, dass der Versicherer für Verstöße einzutreten hat, die in versicherter Zeit begangen wurden, auch wenn die Folgen erst nach Beendigung des Vertrages aufkommen. Dies ist der entscheidende Unterschied zum Claims-made-Prinzip der angelsächsischen Länder, wo es auf die Anspruchserhebung noch während der Laufzeit des Versicherungsvertrages ankommt; erfolgt die Geltendmachung der Schadensersatzforderung erst nach Ablauf der Versicherungsvertragszeit, ist der Versicherer leistungsfrei, es sei denn, es ist individualvertraglich eine Nachhaftungszeit vereinbart worden, in der durch die Anspruchserhebung noch die Leistungspflicht des Versicherers ausgelöst werden kann. Mit dem Geschädigtenschutzgedanken der Pflichtversicherung (vgl. Rdn 2) ist das Claims-made-Prinzip nicht vereinbar. Da § 51 BRAO keine Nachhaftung vorsieht, ist im Interesse des Geschädigtenschutzes davon auszugehen, dass die gesetzliche Vorgabe auf dem Gedanken des Verstoßprinzips basiert und zumindest im Bereich der Pflichtversicherung keine Deckung auf Basis des Claims-made-Prinzips – auch nicht mit Nachhaftungsklausel – zulässt. Erhebt daher ein Dritter nach Ablauf der Versicherungszeit wegen eines Verstoßes, begangen während der versicherten Zeit, Ansprüche, sind diese nach dem in Deutschland maßgeblichen Verstoßprinzip gedeckt. Diese Regelung kann zur Folge haben, dass der Versicherer auch 25 Jahre nach Vertragsende noch leisten muss. Hat z.B. der Anwalt einen späteren Erblasser bei der Abfassung des Testaments falsch beraten, kann sich der Fehler erst sehr spät im Erbfall herausstellen. Gelegentlich werden deshalb sog. "Nachhaftungsvereinbarungen" ausgehandelt, wonach z.B. Versicherungsschutz nur für Verstöße besteht, die binnen einer bestimmten Frist nach Vertra...