1. Allgemeines
Rz. 119
Nach Eintritt des Versicherungsfalls hat der Versicherungsnehmer die Obliegenheiten, dem Versicherer den Fall anzuzeigen und daran mitzuwirken, dass der Sachverhalt richtig aufgeklärt wird. Darauf ist der Versicherer in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung noch dringender angewiesen als im Sachschadenbereich oder auch bei der Kfz-Haftpflichtversicherung, bei der zumindest außerhalb des Bagatellbereichs polizeiliche Unfallaufnahmen vorliegen. Wie aber der Anwalt sein Mandat geführt und wie er den Mandanten im Einzelnen belehrt hat, geht selten vollständig aus den Handakten hervor, schon gar nicht aus Gerichtsakten eines möglichen Vorprozesses. Zur effektiven und korrekten Beurteilung ist daher ein vertrauensvoller und offener Umgang der Vertragspartner des Versicherungsvertrages sehr von Vorteil, wenn nicht sogar unerlässlich. Der Versicherer bestimmt grds. darüber, welche Angaben er zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Als Sanktion für Verletzungen des Versicherungsnehmers gegen seine Obliegenheiten sehen das VVG und ihm folgend die AVB unter bestimmten weiteren Umständen die vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit des Versicherers für den konkreten Schaden vor.
Rz. 120
Die zur alten Rechtslage vom BGH entwickelte Relevanzrechtsprechung ist nach der VVG-Reform und der Einführung des neuen § 28 VVG obsolet. Die wichtigste Änderung betrifft den Abschied vom oft als ungerecht und einseitig empfundenen Alles-oder-Nichts-Prinzip. Unter bestimmten Umständen kann die Leistung des Versicherers jetzt auch quotenmäßig gekürzt werden. Ob und inwieweit Leistungsfreiheit besteht, hängt zum einen an der Verschuldensform, zum anderen an der Frage, ob die Obliegenheitsverletzung für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers Bedeutung hat. Auf Letzteres kommt es nur dann nicht an, wenn der Versicherungsnehmer Obliegenheiten arglistig verletzt, § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG. Bei Vorsatz besteht ebenfalls Leistungsfreiheit, wenn nicht der Versicherungsnehmer den Kausalitätsgegenbeweis führen kann; bei grober Fahrlässigkeit wird die Leistung quotenmäßig gekürzt, wenn der Kausalitätsgegenbeweis nicht gelingt. Werden die Melde- und Informationspflichten durch den Versicherungsnehmer nur einfach fahrlässig verletzt, kann der Versicherer hieraus keine Rechte für sich herleiten. Voraussetzung für Leistungsfreiheit des Versicherers ist in jedem Fall, dass "der Vertrag" (also im Zweifel die AVB) Entsprechendes auch vorsieht.
§ 28 VVG trifft nun auch zur Beweislast eindeutige Regelungen. Gem. Abs. 2 letzter Hs. trägt der Versicherungsnehmer die Beweislast dafür, dass grobe Fahrlässigkeit nicht vorliegt. Daraus lässt sich umgekehrt der Schluss ziehen, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer wie auch schon bei früherer Rechtslage Vorsatz nachzuweisen hätte.
§ 28 Abs. 3 VVG lehnt sich an die frühere Relevanzrechtsprechung an, indem er dem Versicherungsnehmer den Kausalitätsgegenbeweis ermöglicht. Allerdings ist der Wortlaut des § 28 Abs. 3 VVG (und § 5 III AVB mit entsprechender Formulierung) etwas enger. Während es nach der Relevanzrechtsprechung genügte, dass die Aufklärungsinteressen des Versicherers abstrakt gefährdet wurden, ist nunmehr konkrete Kausalität gefordert. Die Obliegenheitsverletzung muss sich tatsächlich auf die Leistung des Versicherers auswirken, denn es heißt im Gesetzestext, sie müssen "für den Umfang der Leistungspflicht ursächlich sein". Mit der fehlenden Kausalität hat der Versicherungsnehmer einen Negativbeweis zu führen. Er wird zunächst darzulegen haben, welche Informationen der Versicherer tatsächlich hatte und dass diese ausreichten, um dem Versicherer eine vollständige Ermittlung zu ermöglichen. I.R.d. sekundären Darlegungslast ist es dann am Versicherer vorzutragen, welche weiteren Maßnahmen bei vollständiger Erfüllung der Obliegenheiten ergriffen worden wären und welche Folgen dies dann auf die Leistung gehabt hätte. Denkbar ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Kausalitätsgegenbeweis nur für gewisse Teile der Leistungen des Versicherers gelingt. Dann wird Leistungsfreiheit bzw. Leistungskürzung auch nur für diese Positionen infrage kommen, denn es heißt in § 28 Abs. 3 VVG, dass der Versicherer zur Leistung verpflichtet bleibt, "soweit" die Obliegenheitsverletzung nicht ursächlich geworden ist.
Beispiel
Der Versicherungsnehmer meldet den Schaden erst nach Rechtskraft eines Haftpflichturteils. Der Versicherer wendet mindestens grobe Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Obliegenheitsverletzung ein. Es stellt sich heraus, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer bei rechtzeitiger Schadenmeldung und vollständiger Information umgehend freigestellt und damit den Prozess vermieden hätte. Der Kausalitätsgegenbeweis gelingt also hinsichtlich der Hauptsache, nicht aber hinsichtlich der Prozesskosten und weiterer Zinsen. Dann muss der Versicherer den Versicherungsnehmer von der im Haf...