Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 78
Als eindeutig indiziert wird in der Notfallmedizin eine initiale und zunächst zeitlich begrenzte Maximaltherapie angesehen bei lebensbedrohlicher Erkrankung, ungewisser Gesamtprognose und unklarem Patientenwillen. Das ist Standard, bringt aber sodann kaum weiter.
Rz. 79
Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung (17.2.2011) können sicherlich auch als Ausgangspunkt zur Bildung und Entwicklung einer Art "common sense" verstanden werden. Sie regeln:
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Die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht nicht unter allen Umständen. |
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Es gibt Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt sind und Begrenzungen geboten sein können. |
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Ein offensichtlicher Sterbevorgang soll nicht durch lebenserhaltende Therapien künstlich in die Länge gezogen werden. |
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Die Hilfe (für Sterbende) besteht in palliativ-medizinischer Versorgung und damit auch in Beistand und Sorge für die Basisbetreuung. Dazu gehören nicht immer Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, da sie für Sterbende eine schwere Belastung darstellen können. |
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Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, dass eine möglicherweise dadurch bedingte unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf. |
Rz. 80
In der Medizin existieren darüber hinaus eine Vielzahl von Professionsnormen in der Form von Richtlinien, Leitlinien, Hinweisen und Empfehlungen. Die Berufsordnung der Ärzte verpflichtet Ärzte, unter Beachtung der anerkannten Standards der medizinischen Erkenntnis zu behandeln. Dabei ist auf den Grad ihrer Verbindlichkeit zu achten:
Richtlinien geben dem behandelnden Arzt Regeln des Handelns und Unterlassens an die Hand, die ihm aber spiegelbildlich nur noch einen geringen Ermessenspielraum einräumen.
Leitlinien sind Entscheidungshilfen für eine angemessene Vorgehensweise bei speziellen diagnostischen und therapeutischen Problemstellungen. Leitlinien bündeln systematisch den aktuellen medizinischen Kenntnisstand und liefern evidenzbasierte und praxisorientierte Entscheidungshilfen für Ärztinnen und Ärzte. Sie lassen dem Arzt Entscheidungsspielräume und Handlungskorridore. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), ein Zusammenschluss aller medizinischen Fachgesellschaften, hat sich als Forum für Leitlinien etabliert.
Rz. 81
Thematisch relevante Leitlinien sind z.B.:
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Leitlinie "Nichtinvasive und invasive Beatmung als Therapie der chronischen respiratorischen Insuffizienz", 128 ff., Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. |
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Onkologische Leitlinien, u.a.: Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung, Kurzfassung vom 1.3.2021 mit verfügbaren Patientenleitlinien |
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S3-Leitlinie 001/012: Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin, 101 ff. der DGAI – Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin |
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Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM), Ethische und rechtliche Gesichtspunkte der künstlichen Ernährung, 2013. |
Rz. 82
Ärzte und Patientenvertreter können nicht auf Entscheidungsmaterialien zurückgreifen, bei denen jeweils nur eine Entscheidung die richtige wäre. Richtlinien, Leitlinien und Empfehlungen können für den einigermaßen befähigten Betreuer/Bevollmächtigten oder zumindest für den ihn beratenden Anwalt aber eine Orientierungshilfe bei der Entscheidung sein.