I. Im Strafverfahren
1. Ohne gewünschten Kontakt zu einem Verteidiger
Rz. 54
Bereits der Verstoß gegen die Belehrungspflicht bezüglich des Rechts zur Konsultation eines Verteidigers zieht im Strafrecht - anders als im OWi-Recht, § 55 Abs. 2 OWiG - regelmäßig ein Verwertungsverbot nach sich (BGH NJW 2007, 2706). Ob dies in dieser Grundsätzlichkeit schon auf Fälle mit geringerer Strafandrohung wie Verkehrsstraftaten anzuwenden ist (so z.B. LG Osnabrück zfs 1999, 491), ist zweifelhaft.
Rz. 55
Äußert der Beschuldigte dagegen von sich aus vor Beginn der polizeilichen Vernehmung den Wunsch nach anwaltschaftlichem Beistand, so haben die Vernehmungsbeamten ernsthafte Bemühungen zu entfalten, um ihm bei der Herstellung des Kontaktes zu einem Verteidiger in effektiver Weise zu helfen. Diese Verpflichtung erfüllen die Beamten z.B. dann nicht, wenn sie einem nach einem Anwalt verlangenden sprachunkundigen Ausländer lediglich ein Telefonbuch aushändigen.
Rz. 56
Damit hindern sie den Beschuldigten in unzulässiger Weise an der Durchsetzung seines Rechts, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen (§ 137 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO), was zu einem Verwertungsverbot der in der anschließenden Vernehmung gemachten Angaben führt (BGH StraFo 1996, 81; BGH StraFo 2006, 456).
2. Ohne Belehrung gemachte Angaben
Rz. 57
Taktik
§ 45 RiStBV - Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren - schreibt vor, dass der vernehmende Polizeibeamte die Belehrung - sofern sie erfolgt ist - aktenkundig machen muss.
Wenn sich also ein solcher Vermerk nicht in den Akten befindet, ist es ratsam, die Vernehmung des Beamten mit der Frage zu beginnen, ob er denn die Richtlinien kenne und auch beachte. Ein typisch deutscher Polizeibeamter wird das selbstverständlich bejahen, da er aber keine Belehrung aktenkundig gemacht hat, wird man ihn so am ehesten dazu bringen, zuzugeben, dass er den Beschuldigten nicht belehrt hat.
Rz. 58
Allerdings ist die Aussage trotz fehlendem Vermerk gem. § 45 Abs. 1 RiStBV nur dann unverwertbar, wenn ungeklärt bleibt, ob eine Belehrung erfolgt ist (BGH NStZ RR 2007, 80), der fehlende Vermerk ist dabei lediglich ein Indiz dafür, dass die Belehrung unterblieben ist. (OLG Zweibücken zfs 2010, 598). Der Grundsatz "in dubio pro reo" gilt hier nicht, wenn auch der BGH (StV 2007, 65) für die im Freibeweis zu gewinnende Überzeugung, dass die Belehrung stattgefunden hat, tragfähige Hinweise auf eine konkrete Erinnerung der dazu vernommenen Polizeibeamten verlangt. Die pauschale Angabe, man belehre grundsätzlich und dies sei auch im vorliegenden Fall geschehen, reicht dagegen nicht aus.
a) Des Beschuldigten
Rz. 59
In Verkehrssachen kommt es immer wieder vor, dass das einzige Beweismittel gegen den Betroffenen seine gegenüber Polizeibeamten gemachten Angaben sind. Oft antwortet der Betroffene auf Fragen der ermittelnden Polizeibeamten, ohne zuvor belehrt worden zu sein. Dies führte immer wieder zu unbefriedigenden Ergebnissen, denn nach früherer Rechtsprechung (BGHSt 31, 395) waren solche auf eine von Polizeibeamten augenzwinkernd als "informatorisch" bezeichnete Befragung gemachten Angaben auch dann verwertbar, wenn der Vernommene nicht belehrt worden war.
Rz. 60
Tipp: Unverwertbarkeit
Der BGH (zfs 1992, 176) hat diese Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben: Angaben eines unbelehrten Beschuldigten sind jetzt nur dann verwertbar, wenn dieser sein Recht zu schweigen auch ohne Belehrung unzweifelhaft gekannt hat oder wenn ein verteidigter Angeklagter in der Hauptverhandlung der Verwertung ausdrücklich zugestimmt oder nicht bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt der Verwertung widersprochen hat.
Das gilt genauso für eine Aussage, die der Angeklagte als Zeuge gemacht hat, ohne gem. § 55 Abs. 1 StPO belehrt worden zu sein (BayObLG NZV 2001, 525).
Rz. 61
Achtung: Qualifizierte Belehrung
Folgt auf eine erste, ohne Belehrung durchgeführte Vernehmung eine weitere, vor der gesetzeskonform belehrt wurde, sind die auch in der zweiten Vernehmung gemachten Angaben nur verwertbar, wenn der Beschuldigte qualifiziert belehrt worden war, d.h. nur wenn er ausdrücklich dahingehend belehrt wurde, dass, sofern er jetzt schweigt, seine vorausgegangenen Angaben ebenfalls nicht verwertbar sind (LG Bamberg DAR 2006, 637; aber offen gelassen von BGH NJW 2007, 2706). Der IV. Senat (DAR 2009, 211) nimmt ein Verwertungsverbot nur dann an, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Beschuldigte bei ordnungsgemäßer Belehrung keine Angaben gemacht hätte.
Dem LG Bamberg ist zuzustimmen, denn andernfalls könnte das Belehrungsgebot praktisch umgangen werden, denn fast jeder, der - wenn auch unbelehrt - bereits Angaben gemacht hat, würde im Falle einer erneuten Vernehmung trotz dann erfolgter "einfacher" Belehrung Angaben machen, da er davon ausginge, dass die zuerst gemachten Angaben ohnehin verwertet werden könnten.
Achtung: Reichweite des Verwertungsverbotes
Die Belehrung hat gem. §§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 4 S. 1 StPO nach der Eröffnung des Tatvorwurfes zu erfolgen, weshalb zeitlich damit zusammenfallende Spontanäußerungen oder so...