Rz. 79
In der Regel ist eine Einlassung nur dann ratsam, wenn der Mandant überführt ist oder so starke Indizien gegen ihn sprechen, dass eine Verurteilung zu erwarten ist (z.B. wenn bei Halteranzeigen die von BGHSt 25, 365 genannten Indizien vorliegen).
Rz. 80
Muss der Verteidiger für den Fall eines gerichtlichen Verfahrens mit der Verurteilung seines Mandanten rechnen, ist die Abgabe einer Stellungnahme bereits gegenüber der Bußgeldbehörde sinnvoll. Nicht selten ist dadurch wenigstens die Reduzierung des Bußgeldes in einer Größenordnung zu erreichen, wie dies bei Gericht nicht möglich wäre. Mitunter durchschauen Sachbearbeiter der Bußgeldbehörde die Lücken in der Argumentation des Verteidigers nicht so wie ein Richter.
Rz. 81
Schließlich kann auch ein Beweisangebot auf Einholung eines Sachverständigengutachtens Wirkung zeigen. Erfahrungsgemäß scheuen Bußgeldsachbearbeiter die Einholung von Sachverständigengutachten, zumal ihre Behörde die Kosten zu tragen hätte, wenn sie danach das Verfahren einstellen müssten. Andererseits verfügen sie selbst meist nicht über die Kenntnisse, um die - für den Fachmann erkennbar unzutreffenden - Behauptungen des Verteidigers zu widerlegen.
Rz. 82
Beispiel
Der Mandant hat eine innerörtliche Vorfahrtsverletzung begangen. Nach einer 13 m langen Bremsspur ist der Unfallgegner aufgefahren. An beiden Fahrzeugen ist ein Schaden von je ca. 3.000 EUR entstanden.
Auszug aus der Einlassung bzw. Stellungnahme: "Der Gegner hat die zulässige Geschwindigkeit um mehr als 50 % überschritten und damit sein Vorfahrtsrecht verloren (BGH VRS 16, 124)."
Rz. 83
Anmerkung 1
Weitere Voraussetzung für den Verlust des Vorfahrtsrechts wäre, dass der Vorfahrtsberechtigte nicht rechtzeitig zu erkennen war.
Weiter in der Einlassung: "Die vorhandenen Spuren beweisen die deutlich übersetzte Geschwindigkeit: Legt man auch nur einen Bremsverzögerungswert von 9,5 m/sec zugrunde, wird über die Bremsspur eine Geschwindigkeit von 60 km/h abgebaut. Wäre der Gegner 60 km/h gefahren, wäre er am Ende der Bremsspur zum Stehen gekommen.
Dies war jedoch nicht der Fall, er hatte am Ende der Bremsspur vielmehr noch eine so hohe Bewegungsenergie, dass durch den Anprall ein Gesamtschaden von 6.000 EUR entstand. Dies ist nur möglich, wenn das gegnerische Fahrzeug am Ende der Bremsspur noch eine Restgeschwindigkeit von mindestens 30 km/h hatte. Die von dem Unfallgegner vor Beginn der Bremsung gefahrene Geschwindigkeit errechnet sich aus der Addition der beiden Werte."
Rz. 84
Anmerkung 2
Bremsverzögerungswert
Je höher die Bremsverzögerung, desto höher der über die Bremsspur erfolgte Geschwindigkeitsabbau. Zugunsten des Beschuldigten ist diese Bremsverzögerung möglichst hoch anzunehmen. 9,5 m/sec sind aber ein recht hoher Wert.
Keine Addition
Aus mathematisch-physikalischen Gründen (die Gleichung steht unter einer Wurzel) wirkt sich bei einem am Spurende erfolgenden Aufprall - im Gegensatz zu einem solchen am Spurenbeginn - die abgebaute Bewegungsenergie nur unwesentlich auf die Ermittlung der Ausgangsgeschwindigkeit aus.
Dennoch, ein so detaillierter und scheinbar sachkundiger Vortrag kann beeindrucken. Verbindet der Verteidiger seinen Sachvortrag dazu noch mit der Ankündigung, im Falle der Verhängung eines Bußgeldes von nicht mehr als 35 EUR auf die Einholung des Sachverständigengutachtens zu verzichten, hat der Mandant gute Chancen, mit einem nicht eintragungspflichtigen Bußgeld davonzukommen.
I. Verkehrsstraftaten und Kennzeichenanzeigen
Rz. 85
Staatsanwälte entwickeln vor allem dann keinen besonderen Ehrgeiz, wenn zwei Kraftfahrer sich gegenseitig beschuldigen und die Rollenverteilung nur davon abhängt, wer (zuerst) eine Anzeige erstattet hat. Trotzdem wird der Staatsanwalt ein solches Verfahren nicht ohne weitere Ermittlungen einstellen können, wenn der Beschuldigte nicht wenigstens die Tat bestreitet. Es ist deshalb sinnvoll, sich zu äußern.
Rz. 86
Allerdings ist ein Eingehen auf den Geschehensablauf nicht immer ratsam. Dadurch würde ohne Not die bei Kennzeichenanzeigen bestehende erste Verteidigungslinie aufgegeben, die Staatsanwaltschaft bräuchte dann nicht mehr nachzuweisen, dass der beschuldigte Halter auch der Fahrer war.
Rz. 87
Die Formulierung "bestreitet mein Mandant den ihm zur Last gelegten Verstoß" mutet dem Beschuldigten einerseits nicht zu, zu lügen, lässt aber andererseits die Möglichkeit offen, ohne Glaubwürdigkeitsverlust später doch noch zu dem Tatablauf Stellung nehmen zu können.
II. Tatsachen, die nur der Angeklagte vortragen kann
1. Untypischer Geschehensablauf
Rz. 88
Schließlich muss der Angeklagte, der sich auf einen untypischen Geschehensablauf berufen will, entsprechend vortragen.
Das Gericht muss, wenn der Angeklagte nichts Abweichendes behauptet, nur die nach der Lebenserfahrung denkbaren und dem Angeklagten günstigen Möglichkeiten ausschließen können. Mit einem zwar denkbaren, aber weit entfernt liegenden Sachverhalt braucht es sich jedoch nicht ohne besonderen Anlass zu beschäftigen.
Rz. 89
Anlass hierzu bietet ihm erst eine entsprechende Tatsachenbehauptung der Verteidigung: Handelt es sich um Abläufe, die der Verteidiger weder durch ein...