1. Untypischer Geschehensablauf
Rz. 88
Schließlich muss der Angeklagte, der sich auf einen untypischen Geschehensablauf berufen will, entsprechend vortragen.
Das Gericht muss, wenn der Angeklagte nichts Abweichendes behauptet, nur die nach der Lebenserfahrung denkbaren und dem Angeklagten günstigen Möglichkeiten ausschließen können. Mit einem zwar denkbaren, aber weit entfernt liegenden Sachverhalt braucht es sich jedoch nicht ohne besonderen Anlass zu beschäftigen.
Rz. 89
Anlass hierzu bietet ihm erst eine entsprechende Tatsachenbehauptung der Verteidigung: Handelt es sich um Abläufe, die der Verteidiger weder durch eine eigene Erklärung noch durch ein Sachverständigengutachten in die Hauptverhandlung einführen kann, ist eine Einlassung des Angeklagten gefordert.
Rz. 90
Schwierig zu handhaben sind mitunter Fälle, in denen eine Äußerung unbedingt erfolgen muss, die zur Verteidigung notwendige Tatsachenbehauptung aber nur vom Angeklagten selbst in die Hauptverhandlung eingeführt werden kann. Das ist immer dann der Fall, wenn der Verteidiger als Erklärender nicht infrage kommt.
2. Erlebniswissen
Rz. 91
Mit einer eigenen Erklärung kann der Verteidiger nur eigenes Erlebniswissen oder - was der Normalfall ist - eine Tatsache in die Hauptverhandlung einführen, für die er einen Beweis anbieten kann. So kann er z.B. im Falle einer Unfallflucht durch Zeugen unter Beweis stellen, dass außer dem angeklagten Halter noch weitere Personen das Fahrzeug regelmäßig fahren.
Rz. 92
Ein solches Taktieren hat den Vorteil, dass der Angeklagte sich nicht einzulassen braucht, denn andernfalls könnte der Richter ihn befragen und aus den Antworten bzw. deren Verweigerung für den Angeklagten nachteilige Schlüsse ziehen, z.B. allein schon aus der Weigerung des Angeklagten zu erklären, wo er sich zur Tatzeit aufgehalten hat.
3. Technische Ursachen
Rz. 93
Die Behauptung, dass ein Lenkungsdefekt Unfallursache war, kann der Verteidiger ebenfalls ohne Mitwirkung seines Mandanten mit einem Beweisangebot auf Einholung eines Sachverständigengutachtens in die Hauptverhandlung einführen.
Rz. 94
Solche Möglichkeiten scheiden jedoch aus, wenn Zeugen nicht bekannt sind oder der Angeklagte sich auf einen atypischen, fahrzeugbedingten Geschehensablauf berufen will und der Verteidiger als Erklärender deshalb nicht infrage kommt, weil das Fahrzeug nicht mehr besichtigt werden kann und ein Sachverständigenbeweis somit nicht möglich ist.
4. Zwei Beispiele sollen die Situation verdeutlichen
a)1. Fall - Verzicht auf Vorrecht
Rz. 95
Einem Kraftfahrer wird vorgeworfen, an einem Zebrastreifen den Vorrang eines Fußgängers nicht beachtet zu haben.
Nun kann ein Fußgänger - wie andere Verkehrsteilnehmer auch - zwar auf sein Vorrecht verzichten. Ohne eine entsprechende Behauptung hat der Richter jedoch keinerlei Veranlassung, eine solche Situation in seine Überlegungen mit einzubeziehen. Hierzu kann ihn nur ein entsprechender Vortrag zwingen.
Da der Verteidiger selbst weder eigenes Erlebniswissen vortragen noch die Behauptung mit einem Beweisangebot in die Hauptverhandlung einführen kann, muss sich der Betroffene äußern.
b)2. Fall - Technische Ursache
Rz. 96
Die gleiche Situation entsteht, wenn ein technischer Mangel behauptet werden soll, das Fahrzeug aber nicht mehr von einem Sachverständigen besichtigt werden kann, z.B. weil es schon verschrottet ist:
Ein Kraftfahrer gerät beim Überholen eines kurz zuvor aus einem geschotterten Feldweg auf die Hauptstraße einfahrenden Traktors von der Fahrbahn ab. Dabei kommt sein Beifahrer zu Tode.
Der Grund für das Abkommen von der Fahrbahn soll die Tatsache gewesen sein, dass der Angeklagte nichts mehr sehen konnte, nachdem ein vom Traktor hochgeschleuderter Stein die Windschutzscheibe des Fahrzeuges blind geschlagen hatte.
Rz. 97
Ohne die entsprechende Behauptung wird sich das Gericht nicht mit einem derartigen Geschehensablauf beschäftigen, an eine so atypische Unfallursache wird es nicht einmal denken. In einer solchen Prozesssituation muss deshalb die Verteidigung mit einem entsprechenden Tatsachenvortrag zu diesem Punkt hinführen.
Rz. 98
Das Fahrzeug ist verschrottet und kann nicht mehr besichtigt werden. In dieser Lage wäre eine vom Verteidiger ohne Beweisangebot vorgetragene Behauptung nichts wert. Daher kann nur eine vom Angeklagten selbst aufgestellte Behauptung das Gericht zur Prüfung der entsprechenden Frage zwingen.
Rz. 99
Achtung
Allerdings muss sich die Verteidigung darüber im Klaren sein, dass es sich dabei um eine Teileinlassung mit allen sich daraus ergebenden nachteiligen Konsequenzen (siehe oben Rdn 45-51) handelt.
c) Taktik: Alternative
Rz. 100
Traut der Verteidiger seinem Mandanten nicht zu, eine Befragung durch das Gericht durchzustehen, ohne entscheidende Fehler zu machen, bietet sich folgende Lösung an:
Rz. 101
Der Beschuldigte stellt in einer im Vorverfahren eingereichten schriftlichen Erklärung eine entsprechende Behauptung auf und schweigt anschließend. Dann muss das Gericht - hierzu nötigt es spätestens der Antrag der Verteidigung - die schriftliche Erklärung durch Verlesung in die Hauptverhandlung einführen und sich mit ihr beschäftigen (OLG Zweibrücken StV 1986, 290).
Rz. 102
Eine Teileinlassung mit den bekannten nachteili...