1. Keine nachteiligen Schlüsse
Rz. 20
Aus dem Schweigen des Beschuldigten dürfen weder im Bußgeld- noch im Strafverfahren für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden (BGHSt 25, 365; BGH StV 1990, 9; BVerfG NStZ 1995, 555; OLG Zweibrücken zfs 2000, 513). Das gilt selbstverständlich auch, wenn der Beschuldigte den für den Verstoß verantwortlichen Fahrer nicht angibt (EGMR DAR 2010, 571).
Rz. 21
Hat der Angeklagte umfassend geschwiegen, darf aus seinem sonstigen Verhalten, wie z.B. aus seiner Weigerung, einen Zeugen von seiner Schweigepflicht zu entbinden, kein für ihn nachteiliger Schluss gezogen werden (BGH NJW 2000, 1426).
2. Schweigen nach Äußerung im Vorverfahren
Rz. 22
Dies gilt auch, wenn er sich im Vorverfahren geäußert, in der Hauptverhandlung jedoch geschwiegen hat (OLG Düsseldorf zfs 1994, 266; BGH StraFo 1998, 413; OLG Karlsruhe DAR 2005, 104).
3. Verlesbarkeit im Vorverfahren abgegebener schriftlicher Erklärungen
Rz. 23
Eine im Vorverfahren abgegebene schriftliche Erklärung des Angeklagten ist zwar - im Gegensatz zu einer in der Hauptverhandlung abgegebenen - nicht als Einlassung, auch nicht als Teileinlassung zu werten; dennoch kann sie durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden (OLG Zweibrücken StV 1986, 290; BGH StraFo 1998, 413).
Erklärungen, die der Verteidiger für seinen Mandanten abgegeben hat, können dagegen nicht durch Urkundenbeweis in die Hauptverhandlung eingeführt werden, wenn der Betroffene in der Hauptverhandlung schweigt (BGH StV 1993, 623; Thüringer OLG VRS 2005, 24), denn vom Verteidiger abgegebene Erklärungen können, wenn er sich nicht aufgrund einer ihm erteilten Erklärungsvollmacht äußert (OLG Frankfurt zfs 2000, 272; OLG Hamm zfs 2006, 710), grundsätzlich nicht als Einlassung seines Mandanten gewertet werden (OLG Koblenz NZV 2007, 587).
4. Vorausgegangene Vernehmung in einem Zivilverfahren
Rz. 24
Das gilt selbst für ein zivilrichterliches Protokoll über die Vernehmung des jetzigen Angeklagten als Zeuge, allerdings nur, wenn die Voraussetzungen für die Verwertbarkeit im Strafprozess (BGHSt 38, 214) erfüllt sind (BGH bei Tolksdorf, DAR 1997, 181).
5. Nach Aussageverweigerung als Zeuge
Rz. 25
Nachteilige Schlüsse für den Angeklagten können aus seinem Schweigen auch dann nicht gezogen werden, wenn er sich bei seiner Vernehmung als Zeuge in einem den gleichen Tatkomplex betreffenden Verfahren auf sein Verweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen, in dem anschließend gegen ihn eingeleiteten Verfahren aber geschwiegen hat (BGH NJW 1992, 2302).
6. Ausfüllen des Anhörungsbogens
Rz. 26
Ebenso wenig können aus der Ausfüllung, Unterschrift und Rücksendung des Anhörungsbogens eines ansonsten schweigenden Betroffenen für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden (OLG Karlsruhe DAR 1978, 77; OLG Celle VRS 45, 140), wie überhaupt aus dem Schweigen des Halters kein für ihn nachteiliger Schluss gezogen werden darf (OLG Koblenz VRS 58, 377; EGMR DAR 2010, 571).
7. Änderung des Aussageverhaltens
a) Einlassung nach ursprünglichem Schweigen
Rz. 27
Der zunächst schweigende Angeklagte kann ohne Nachteil sein Schweigen jederzeit aufgeben und Angaben machen. Die Tatsache, dass er zunächst geschwiegen hat, darf nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (BGH NStZ 1995, 20; OLG Stuttgart NZV 1998, 42; OLG Braunschweig NZV 2001, 136; OLG Karlsruhe DAR 2005, 104).
Rz. 28
Achtung: Protokollierung erforderlich
Hat sich der Angeklagte zunächst nicht eingelassen, ist die Tatsache der späteren Einlassung eine in das Protokoll aufzunehmende Förmlichkeit i.S.d. § 273 StPO; dies auch dann, wenn er sich erst i.R.d. § 257 oder § 258 StPO äußert (BGH NJW 1996, 533). Enthält das Protokoll keine Angaben hierzu, ist davon auszugehen, dass der Angeklagte insgesamt geschwiegen hat.
b) Vorherige Besprechung mit dem Anwalt
Rz. 29
Die Hauptverhandlung kann eine Entwicklung nehmen, auf die der Angeklagte - entgegen dem ursprünglichen Plan - mit einer Einlassung reagieren muss.
Rz. 30
Tipp
Wird der Angeklagte hiervon überrascht, kann eine Besprechung mit dem Verteidiger notwendig sein. Der Anwalt wird dann eine Unterbrechung der Verhandlung beantragen müssen, damit das weitere Vorgehen und die eventuelle Einlassung besprochen werden können.
Dieses Vorgehen ist unbedenklich, da aus der Tatsache, dass sich der Angeklagte erst nach Rücksprache mit seinem Verteidiger zur Sache einlässt, keine für ihn nachteiligen Schlüsse gezogen werden dürfen (BGH StV 1994, 413).
8. Wertung als Schutzbehauptung
Rz. 31
Will das Gericht eine Einlassung des Betroffenen als Schutzbehauptung werten, muss es seine Auffassung eingehend begründen. Das gilt auch dann, wenn der Betroffene in der Hauptverhandlung eine von seinen polizeilichen Angaben abweichende Einlassung abgibt (OLG Karlsruhe zfs 2006, 473).
9. Widerlegte Einlassung
Rz. 32
Eine widerlegte Einlassung alleine kann nicht die Annahme eines dem Angeklagten ungünstigen Sachverhaltes rechtfertigen (OLG Hamm zfs 2003, 257).
10. Darstellung der Einlassung im Urteil
Rz. 33
Die Anforderungen an die Beweiswürdigung richten sich auch nach der Einlassung des Betroffenen. Deshalb muss das Urteil grundsätzlich mitteilen, ob bzw. wie sich der Betroffene geäußert hat (OLG Brandenburg zfs 2010, 587; OLG Köln DAR 2013, 393; OLG Karlsruhe DAR 2017, 395; OLG Saarbrücken zfs 2019, 351). Dabei genügt die bloße Mitteilung, der Betroffene habe sich geäußert, nicht (OLG Bamberg DAR 2017, 383).
Zwar unterliegt die Beweiswürdigung des Tatrichters nur einer eingeschränkten Prüfung durch das Revisionsg...