I. Erbquote und Pflichtteilsanspruch
Rz. 24
Die wichtigste Wirkung des Erbverzichts ist die Veränderung der Erbquote. Auf sie wird unmittelbar durch den Erbverzicht eingewirkt. Eine enterbende letztwillige Verfügung ist nicht notwendig. Der Verzichtende entfällt als Erbe (sog. Vorversterbensfiktion). Die Quoten der anderen Erben erhöhen sich. Es können auch völlig neue Personen Erben werden.
Beispiel
Der unverheiratete Erblasser, dessen Eltern vorverstorben sind, hat ein Kind. Dieses erklärt einen Erbverzicht. Hat der Erblasser Geschwister, werden diese zu Erben, sonst weiter entfernte Verwandte. Der Erblasser muss also noch eine entsprechende letztwillige Verfügung verfassen, wenn er die gesetzliche Erbfolge vollständig ausschließen möchte.
Rz. 25
Der pflichtteilsberechtigte Verzichtende verliert beim Erbverzicht auch seinen Pflichtteilsanspruch, da eine Tatbestandsvoraussetzung des § 2303 BGB entfällt.
Rz. 26
Sind neben dem Verzichtenden noch weitere Pflichtteilsberechtigte vorhanden, die nicht verzichten, erhöht sich deren Pflichtteilsquote.
Beispiel
Der im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratete Erblasser hat zwei Kinder. Nur eines erklärt einen Erbverzicht. Die Erbquote des anderen Kindes steigt dadurch auf ein Halb. Setzt der Erblasser in einer letztwilligen Verfügung seine Ehefrau nun als Alleinerbin ein, ist die Pflichtteilsquote des Kindes, das nicht verzichtete, so groß, wie vor dem Verzicht für beide Kinder zusammen: ein Viertel.
Rz. 27
Beim Pflichtteilsverzicht verändern sich die Erbquoten nicht. Errichtet der Erblasser keine letztwillige Verfügung, erbt der Verzichtende. Enterbt der Erblasser den Verzichtenden, kann dieser auch keinen Pflichtteilsanspruch geltend machen. Die Quoten der anderen Erben verändern sich nicht.
Beispiele
1. |
Der unverheiratete Erblasser, dessen Eltern vorverstorben sind, hat ein Kind. Dieses erklärt einen Pflichtteilsverzicht. Errichtet der Erblasser keine letztwillige Verfügung, erbt das Kind allein. Geschwister des Erblassers u.a. kommen nicht zum Zuge. |
2. |
Der im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratete Erblasser hat zwei Kinder. Nur eines erklärt einen Pflichtteilsverzicht. Die Erbquote des anderen Kindes ändert sich dadurch nicht. Setzt der Erblasser in einer letztwilligen Verfügung seine Ehefrau nun als Alleinerbin ein, ist die Pflichtteilsquote des Kindes, das nicht verzichtete, lediglich ein Achtel. |
Rz. 28
Praxishinweis
In der Gestaltungspraxis ist daher der Erbverzicht fast immer ein Gestaltungsfehler. Pflichtteilsverzichte können Pflichtteilsansprüche sicher vermeiden und sind zudem flexibel und individuell anzupassen.
Nur in seltenen Fällen kann bei der Gestaltung ein Erbverzicht empfohlen werden, etwa wenn der geschäftsunfähige Erblasser kein Testament mehr errichten kann. Eventuell kann auch noch, wenn nur ein Pflichtteilsberechtigter existiert und abzusehen ist, dass kein neuer hinzutreten wird, oder alle Pflichtteilsberechtigten verzichten, die nicht bedacht werden sollen, ein Erbverzicht erwogen werden, da nicht alle Mandanten wirklich dem ausdrücklich zu erteilenden Rat folgen und eine letztwillige Verfügung errichten, die beim reinen Pflichtteilsverzicht erst die gewünschte Wirkung herbeiführt. In der Gestaltungspraxis wird im Ergebnis fast ausschließlich der Pflichtteilsverzicht in verschiedenen Ausformungen eine Rolle spielen.
II. Abkömmlinge des Verzichtenden
Rz. 29
Der Erbverzicht erstreckt sich gem. § 2349 BGB auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, wenn dieser ein Abkömmling oder Seitenverwandter (§ 1589 S. 2 BGB) des Erblassers ist. Dass damit in das selbstständige Erbrecht eines anderen eingegriffen wird, wurde vom Gesetzgeber zugelassen, unabhängig davon, ob eine Abfindung gewährt wird oder nicht.
Rz. 30
§ 2349 BGB nennt den Pflichtteilsverzicht nicht. Trotzdem ist diese Norm auch beim auf den Pflichtteil beschränkten Verzicht anzuwenden. Neben dem Argument a maiore ad minus sprechen auch § 2346 BGB und der Sinn und Zweck dafür: Dem Testator soll es ermöglicht werden, seine vollständige Testierfreiheit herbeizuführen.
Rz. 31
Bei anderen als den in § 2349 BGB genannten Personen erstreckt sich der Verzicht nicht auf dessen Abkömmlinge. Nach inzwischen allgemeiner Meinung kann diese Wirkung auch nicht vertraglich erzielt werden.
III. Pflichtteilsergänzungsansprüche und Ähnliches
Rz. 32
Wird auf das Pflichtteilsrecht als solches verzichtet, umfasst der Verzicht auch Pflichtteilsergänzungsansprüche, wie den Pflichtteilsrestanspruch etc. Eine Formulierung wie "verzichtet auf sein Pflichtteilsrecht und Pflichtteilsergänzungsansprüche" kann irritieren. Die Aufzählung kann als abschließend angesehen werden, womit etwa der Ausgleichspflichtteil als nicht ...