A. Allgemeines
Rz. 1
Die 1. Kommission bezeichnete in der Begründung ihres Entwurfs des BGB den Erbverzicht als "eher entbehrlich". Schließlich sei die Enterbung durch eine letztwillige Verfügung möglich. Geregelt werden müsse eigentlich nur der Pflichtteilsverzicht. Weil der Erbverzicht im "deutschen Rechtsleben" aber "geläufig" sei und mit ihm statt zweier Rechtsgeschäfte (Pflichtteilsverzicht und letztwillige Verfügung) nur eines erfolgen müsse, wurde er trotzdem im BGB anerkannt, §§ 2346 bis 2351 BGB.
Rz. 2
Der Erbverzicht ist zwar als Gestaltungsmittel fast nie zu empfehlen, weil er die Pflichtteilsquoten anderer Berechtigter erhöht. Da er aber – wohl auch in Unkenntnis dieses Nachteils – beurkundet wurde und mitunter immer noch beurkundet wird, bleibt er Gegenstand erbrechtlicher Auseinandersetzungen.
Rz. 3
Der Pflichtteilsverzicht kann dagegen ein hervorragendes Gestaltungsmittel sein. Er ermöglicht es, dem Erblasser seine vollständige Testierfreiheit (wieder) zu geben. Er bildet damit ein dem Grundsatz der Vertragsfreiheit entsprechendes Gegengewicht zum zwingenden Pflichtteilsrecht.
Rz. 4
Durch den Zuwendungsverzicht verzichtet ein in einem Testament oder Erbvertrag Bedachter vor dem Erbfall auf die Zuwendung. Regelmäßig ist allerdings der Widerruf der letztwilligen Verfügung durch den Erblasser einfacher. Der Zuwendungsverzicht war bis zur Erbrechtsreform mit Wirkung zum 1.1.2010 nur in seltenen Fällen zweckmäßig. Inzwischen bringt er aber den meist gewünschten Erfolg, da § 2349 BGB jetzt anwendbar ist und sich der Verzicht damit auch auf Abkömmlinge erstreckt.
Rz. 5
Wie in vielen erbrechtlichen Teilgebieten ist die Zahl der ungeklärten Probleme angesichts der seit über 100 Jahren unveränderten Normen erstaunlich, sind die tiefgreifenden dogmatischen Fragen fordernd und die praktisch relevanten Folgen spannend. Ohne Kenntnis der bei Verzichtsverträgen zu beachtenden Probleme entgeht einem Fachanwalt für Erbrecht nicht nur einiger Spaß, sondern er kann auch seinen Mandanten in einer Auseinandersetzung nicht angemessen vertreten und ihn bei der Nachlassgestaltung nicht ausreichend beraten.
B. Verfügungs- und Kausalgeschäft
I. Allgemeines
Rz. 6
Beim Erb- und Pflichtteilsverzicht gilt das Abstraktionsprinzip. Der Verzichtsvertrag ist ein abstraktes, erbrechtliches Verfügungsgeschäft. Er ist kein gegenseitiger Vertrag i.S.v. §§ 320 ff. BGB.
Daneben wird ein schuldrechtliches Kausalgeschäft geschlossen. Es ist ein Vertrag i.S.v. §§ 320 ff. BGB. Dies ist heute fast allgemeine Meinung. Im Gesetz wird das Kausalgeschäft – im Gegensatz zum Verfügungsgeschäft – aber nicht erwähnt.
Früher wurde der Verzicht noch als ein Rechtsgeschäft ohne causa angesehen. Inzwischen hat auch der BGH ausdrücklich festgestellt, dass er der h.M. folge, nach der "hinter dem abstrakten erbrechtlichen Verfügungsvertrag des Erbverzichts in der Regel ein kausaler schuldrechtlicher Abfindungsvertrag steht".
II. Schuldrechtliches Kausalgeschäft
1. Allgemeines
Rz. 7
Der Verzicht kann entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen. Der unentgeltliche Verzicht ist relativ häufig. Abkömmlinge erklären ihn z.B. aufgrund elterlicher Autorität, sittlichen Verpflichtungsgefühls oder auch rechtlicher Unkenntnis. Oft wird ihnen von den Eltern zugesichert, dass sie nach dem letztversterbenden Elternteil Erben werden würden. Eine erbvertragliche Bindung der Eltern erfolgt aber meist ebenso wenig wie eine Aufklärung über die Gefahr des "Verschwindens" von Vermögen zu Lebzeiten der Eltern und über die Schwäche des Anspruchs aus § 2287 BGB (analog).
2. Unentgeltlicher Verzicht
Rz. 8
Der unentgeltlich abgegebene Verzicht ist nach allgemeiner Meinung keine Schenkung des Verzichtenden. Im Moment des Verzichts wird das Vermögen des Erblassers nicht bereichert, wie es § 516 Abs. 1 BGB verlangt, und das des Verzichtenden nicht gemindert. Schließlich stellt § 517 BGB klar, dass – obwohl der Verzichtsempfänger einen Vorteil erhält – u.a. der Verzicht auf ein angefallenes, aber noch nicht endgültig erworbenes Recht oder die Ausschlagung einer Erbschaft keine Schenkungen darstellen.
3. Entgeltlicher Verzicht
Rz. 9
Umstritten ist, ob die Abfindung für einen Verzicht eine unentgeltliche Zuwendung ist oder den Verzicht zu einem entgeltlichen Vertrag macht.
In einer Entscheidung im Jahr 1991 hatte der BGH über eine Anfechtung nach dem AnfG zu entscheiden. Ein Pflichtteilsverzicht wurde in diesem Zusammenhang nicht als "Gegenleistung für die Übertragung wertvollen Grundbesitzes" gesehen. Mit der erbrechtlichen Problematik setzte sich der BGH aber nicht auseinander.