A. Allgemeines
Rz. 1
Das Internationale Erbrecht beschäftigt sich mit Erbfällen mit Auslandsbezug. Geschätzt 450.000 grenzüberschreitende Erbfälle mit einem geschätzten Vermögen von mehr als 120 Mrd. EUR fallen allen EU-weit jährlich an. Gründe hierfür sind die gestiegene Mobilität der Menschen wie des Kapitals. Es gibt immer mehr Ehen mit einem ausländischen Ehepartner, Familienmitglieder mit ausländischen Staatsangehörigkeiten, Wohnsitz und/oder Aufenthalt im Ausland, Grundbesitz, Bankkonten oder sonstiges Vermögen im Ausland.
Rz. 2
Rechtlich problematisch und zu klären sind daher die erbrechtlichen Folgen eines Erbfalls mit Auslandsbezug sowie die vorbeugende Gestaltung der Erbfolge. Als besonders schwierig erweist sich dabei, dass selbst innerhalb der EU die Mitgliedstaaten erheblich voneinander divergierendes materielles Erbrecht haben und durch die Anwendung von Auslandsrecht bislang erhebliche Nachlassabwicklungskosten anfielen und es zu nicht unerheblichen Einbußen bei der Qualität der Rechtsfindung kam.
Rz. 3
Aus diesem Anlass wurde die "Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses" (nachfolgend: EuErbVO) geschaffen, die mit Wirkung zum 17.8.2015 in Kraft trat. Sie ging zurück auf einen Vorschlag der EU-Kommission, welcher am 14.10.2009 (Nr. 650/2012) veröffentlicht wurde und die internationale Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Dokumenten auf dem Gebiet des Erbrechts regelt sowie die Schaffung eines europäischen Erbscheins vorsieht. Der Justizministerrat hat den Vorschlag der Verordnung am 7.6.2012 angenommen und sie wurde am 27.7.2012 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Diese Verordnung bewirkte die wohl bislang größte Umwälzung in der Geschichte des deutschen Internationalen Erbrechts.
B. Ermittlung des anwendbaren Erbrechts
I. Vorrang staatsvertraglicher Regelungen
Rz. 4
Bestehende Staatsverträge auf dem Gebiet des internationalen Erbrechts sind vorrangig anzuwenden. Dies gilt gemäß § 75 Abs. 1 EuErbVO unverändert auch nach Inkrafttreten der EuErbVO, so dass diese weiterhin vorrangig geprüft werden müssen.
Sonderregeln betreffend das Erbrecht enthalten
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das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen vom 17.2.1929, |
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der deutsch-türkische Konsularvertrag vom 28.5.1929 und |
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der deutsch-sowjetische Konsularvertrag vom 25.4.1958. |
1. Deutsch-iranisches Niederlassungsabkommen
Rz. 5
Das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen stellt hinsichtlich des anwendbaren Rechts für die Rechtsnachfolge von Todes wegen auf die Staatsangehörigkeit als maßgebliches Anknüpfungskriterium ab, Art. 8 Abs. 3 S. 1 des Abkommens. Dieser lautet:
Zitat
In Bezug auf das Personen-, Familien- und Erbrecht bleiben die Angehörigen jedes der vertragschließenden Staaten im Gebiet des anderen Staates jedoch den Vorschriften ihrer heimischen Gesetze unterworfen. Die Anwendung dieser Gesetze kann von dem anderen vertragschließenden Staat nur ausnahmsweise und nur insoweit ausgeschlossen werden, als ein solcher Ausschluss allgemein gegenüber jedem anderen fremden Staat erfolgt.
Die Regelung entsprach der früheren Fassung des Art. 25 Abs. 1 EGBGB a.F. Zu beachten ist aber, dass es auf Personen, die sowohl die deutsche als auch die iranische Staatsangehörigkeit besitzen, nicht anwendbar ist. Soweit sich die Bestimmung des Erbstatuts nach diesem Abkommen richtet, war für iranische Staatsangehörige eine Rechtswahl nach Art. 25 Abs. EGBGB (a.F. ausgeschlossen. Auch nach Geltung der EuErbVO soll eine Rechtswahl insoweit ausgeschlossen sein.
2. Deutsch-türkischer Konsularvertrag
Rz. 6
Der deutsch-türkische Konsularvertrag enthält folgende erbrechtliche Kollisionsregel:
Zitat
§ 14 der Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrags (Nachlassabkommen)
(1) Die erbrechtlichen Verhältnisse bestimmen sich in Ansehung des beweglichen Nachlasses nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes angehörte.
(2) Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des unbeweglichen Nachlasses bestimmen sich nach den Gesetzen des Landes, in dem dieser Nachlass liegt, und zwar in der gleichen Weise, wie wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes Angehöriger dieses Landes gewesen wäre.
Nachdem dieser Staatsvertrag hinsichtlich des beweglichen Nachlasses auf die Staatsangehörigkeit und hinsichtlich des unbeweglichen Nachlasses auf die Belegenheit (lex rei sitae) abstellt, kann Nachlassspaltung eintreten, wenn ein Türke mit Grundbesitz in Deutschland oder ein Deutscher mit Grundbesitz in der Türkei verstirbt.
Inwieweit der deutsch-türkische Konsularvertrag auch auf Doppelstaater Anwendung findet, ist umstritten.
BGH, Urt. v. 21.10.2015 – IV ZR 68...