Rz. 143

Wie neuerdings auch in Deutschland[85] wird in einer zunehmenden Anzahl von Staaten nun die Eheschließung von Personen gleichen Geschlechts zugelassen (z.B. Belgien, Dänemark, Frankreich, Island, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, einzelne Staaten der USA). Für die Wirkungen solcher Beziehungen gelten in den meisten dieser Länder die Regeln für Eheleute unmittelbar. Aus deutscher Sicht stellt sich dann die Frage, ob eine solche Beziehung als "Ehe" i.S.v. Art. 13 EGBGB[86] oder als "eingetragene Lebenspartnerschaft" i.S.v. Art. 17b EGBGB zu behandeln ist (Qualifikation). Geht man davon aus, dass auch die eingetragene Lebenspartnerschaft nach deutschem Recht weitestgehend der Ehe angeglichen ist, darf man sich nicht auf die vom ausländischen Gesetzgeber gewählte Bezeichnung fixieren (das wäre eine "Qualifikation lege causae"), sondern muss ausgehend von der Systematik des deutschen IPR jede rechtsförmlich begründete gleichgeschlechtliche Partnerschaft unter Art. 17b EGBGB fassen (funktionelle Qualifikation).[87] Bei Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe hat man sich entschlossen, diese Lösung in Art. 17b Abs. 4 EGBGB gesetzlich festzuschreiben, und verhindert auf diese Weise, dass bisher aus deutscher Sicht wirksame gleichgeschlechtliche Ehen und eingetragene Partnerschaften durch einen Systemwechsel den strengeren Anknüpfungsregeln der Ehe unterfallen und plötzlich nicht mehr wirksam sind.

 

Rz. 144

 

Beispiel

Entgegen dem ersten Anschein stellt diese Lösung die Beteiligten auch nicht schlechter, sondern besser: Haben ein Deutscher und sein polnischer Freund in Rotterdam die Ehe geschlossen, so kann diese Beziehung bei Anwendung von Art. 17b Abs. 1 EGBGB im Inland anerkannt werden, der Freund wird also gem. § 1931 BGB gesetzlicher Erbe und ist gem. § 2303 BGB pflichtteilsberechtigt. Bei Anwendung von Art. 13 Abs. 1 EGBGB dagegen wäre die "Ehe" nichtig, weil der Pole nach seinem Heimatrecht keinen Mann "heiraten" kann. Die Vorfrage nach dem Bestehen einer Ehe wäre dann zu verneinen.

[85] Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts v. 20.7.2017 (BGBl I 2017, 2787) mit Wirkung vom 1.10.2017.
[86] So z.B. Buschbaum, RNotZ 2010, 81; MüKo-BGB/Coester, Art. 17b EGBGB Rn 147 noch in der 4. Auflage; NK-BGB/Gebauer, Art. 17b EGBGB Rn 19; Gebauer/Staudinger, IPRax 2002, 277; Röthel, IPRax 2002, 497.
[87] BGH v. 20.4.2016 – XII ZB 15/15, NJW 2016, 2322 = FamRZ 2016, 1251; OLG München v. 7.2.2011 – 31 Wx 278/10, FamRZ 2011, 1506; BFH IPRax 2006, 287; AG Münster IPRax 2011, 269; VG Berlin IPRax 2011, 270 m. Anm. Mankowski/Höffmann; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2004, § 44 V, S. 343; NK-BGB/Andrae, Art. 13 EGBGB Rn 50; Dörner, in: FS Jayme, 2004, S. 150; Henrich, FamRZ 2002, 138; Erman/Hohloch, Art. 17b EGBGB Rn 6; Martiny, in: Hausmann/Hohloch, Das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, 2. Aufl. 2004, Kap. 12 Rn 62; Wasmuth, in: FS Kegel, 2002, S. 237, 241.

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