Rz. 229

Allein das (Gesamt-)Ergebnis der Rechtsanwendung ist Gegenstand der Kontrolle. Da der ausländische Gesetzgeber nicht deutschem Verfassungsrecht unterliegt, ist eine abstrakte Kontrolle der Regeln des ausländischen Erbrechts anhand der deutschen Grundrechte nicht möglich. Auch mit den Grundregeln des deutschen Rechts unvereinbare Regeln sind daher anzuwenden, soweit sie zu einem Ergebnis führen, das aus deutscher Sicht hinnehmbar ist. "Ergebnis der Rechtsanwendung" bedeutet insbesondere, dass sämtliche Möglichkeiten des ausländischen Sachrechts wie auch des deutschen IPR auszuschöpfen sind:

Die einseitige Verstoßung der deutschen Ehefrau durch ihren muslimischen Ehemann (talaq) ist anzuerkennen, wenn die Ehefrau ohnehin mit der Scheidung einverstanden war oder auch nach deutschem Recht gerichtlich hätte geschieden werden können. Die Scheidung ist in solchen Fällen akzeptabel.[185]
Fehlende Pflichtteile von Abkömmlingen oder des Ehegatten werden im ausländischen Recht vielfach bei Bedürftigkeit durch Unterhaltsansprüche kompensiert. Durch eine funktionelle Qualifikation dieser Ansprüche kann man diese zum Erbstatut ziehen (siehe Rdn 205) bzw. bei unterschiedlichem Erb- und Unterhaltsstatut im Wege der Angleichung (siehe Rdn 267) Versorgungslücken vermeiden.
In der Literatur wird häufiger darauf hingewiesen, das entsprechende ausländische Recht kenne ja Pflichtteile generell, so dass dieses Recht nicht gegen den ordre public verstoße. Das freilich verfängt nicht. Bei Geltung englischen Erbrechts hilft den enterbten Kindern nicht der Hinweis darauf, die Witwe habe ja einen Pflichtteil. Auch kann man die zugunsten der Kinder enterbte konkret pflichtteilslose Ehefrau bei Geltung französischen Erbstatuts nicht damit trösten, sie habe einen Pflichtteil, wenn die Kinder bei Eintritt des Erbfalls bereits vorverstorben wären.
Eine sehr niedrige oder fehlende Ehegattenerbquote wird erträglich, wenn § 1371 Abs. 1 BGB eingreift oder der Ertrag aus einer güterrechtlichen Auseinandersetzung in die Betrachtung einbezogen wird.[186]
 

Rz. 230

Im Beispiel sind die "ungläubigen" Kinder und die Ehefrau aufgrund ihrer Konfession vollständig von der Erbfolge ausgeschlossen. Damit ist kein "Zwischenergebnis" betroffen.[187]

 

Rz. 231

Das OLG Hamm[188] hatte einmal das höhere gesetzliche Erbrecht des Sohnes im Vergleich zu seiner Schwester bei der Erbfolge nach einem Iraner unbeanstandet gelassen, weil ein solches Ergebnis auch darauf beruhen könne, dass der Erblasser eine entsprechende letztwillige Verfügung getroffen oder die Schwester auf die Hälfte ihres Erbrechts verzichtet hat. Diese Überlegung ist unzutreffend, da im zugrunde liegenden Fall die geringere Erbquote der Tochter gerade nicht auf einem entsprechenden testamentarisch niedergelegten Willen des Erblassers beruhte, sondern auf dem Gesetz und dieses ausschließlich aufgrund der unterschiedlichen Geschlechtszugehörigkeit differenziert.[189] Anderes könnte in dem Fall gelten, dass der Erblasser nur deswegen von einer (ihm nach dem ägyptischen Recht ohnehin nur eingeschränkt möglichen) letztwilligen Verfügung abgesehen hat, weil er darauf vertraut hat, dass die von ihm gewollte ungleiche Verteilung des Nachlasses von Gesetzes wegen eintritt.[190] Freilich muss in einem solchen Fall dann ein entsprechender Wille des Erblassers nachgewiesen werden.[191]

 

Rz. 232

Das Ergebnis muss auf der Anwendung ausländischen Rechts beruhen. Ausländisches Recht kann dabei sowohl materielles Erbrecht als auch Kollisionsrecht sein. Kein Fall für den ordre public liegt daher vor, wenn das Ergebnis auf der Anwendung deutschen Rechts beruht, z.B. die Witwe des griechischen Erblassers keinen Pflichtteil erhält, weil die Eheschließung in Deutschland vor einem griechischen Popen ohne entsprechende Lizenz vorgenommen wurde, so dass nach deutschem Recht die Ehe gem. Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB nicht anerkannt wird.

[185] Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 20 I 1 a, S. 793; OLG München IPRax 1989, 238 m. Anm. Jayme, S. 223 f.
[186] Kritisch insoweit Dörner, IPRax 1994, 37, nach dessen Ansicht das zusätzliche Viertel bereits als güterrechtlicher Ausgleich geschuldet sei, so dass es nicht mehr ein zu geringes Erbrecht kompensieren könne. Dieses Argument überzeugt bei einem rechnerischen Güterausgleich, nicht jedoch bei § 1371 Abs. 1 BGB, der auf eine pauschale Besserstellung des überlebenden Ehegatten abzielt.
[187] OLG Hamm FamRZ 2005, 1705 = ZEV 2004, 436 m. Anm. St. Lorenz.
[188] OLG Hamm FamRZ 1993, 111.
[189] Daher braucht man deswegen noch nicht die ausländische Norm zum Gegenstand der Prüfung zu machen, siehe von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 6 Rn 115; MüKo-BGB/Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn 47; anders Dörner, IPRax 1994, 35; vorsichtiger St. Lorenz, IPRax 1993, 150.
[190] Darauf beruft sich OLG Hamm ZEV 2005, 439.
[191] Vgl. St. Lorenz, ZEV 2005, 441 m.w.N.

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