Rz. 94

In vielen Rechtsordnungen wird das Erbstatut nicht einheitlich angeknüpft, also z.B. an die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz des Erblassers (Nachlasseinheit), sondern für Liegenschaften oder gar sämtliche Nachlassgegenstände an den jeweiligen Belegenheitsort. Verteilt sich der Nachlass über mehrere Staaten, gelten für die Erbfolge der einzelnen Teile verschiedene Rechtsordnungen (Nachlassspaltung). Hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem dieser Staaten, kann über den Renvoi auch aus deutscher Sicht eine Nachlassspaltung eintreten,[63] aufgrund derer der Nachlass in rechtlich voneinander unabhängig abzuhandelnde Teile zerfällt (gegenständliche Nachlassspaltung). Grundsätzlich sind dann auch die Pflichtteile für jeden dieser Teile so zu bestimmen sind, als ob es die anderen Teile nicht gäbe.

 

Rz. 95

 

Beispiel

Ein in Thailand verstorbener Erblasser mit französischer Staatsangehörigkeit hinterlässt Beteiligungen an deutschen Unternehmen, ein Bürogebäude in Duisburg und ein Weingut bei Dijon. Testamentarisch hat er seine alleinstehende Geschäftsassistentin zur Alleinerbin eingesetzt. Die Ehefrau und die drei Kinder des Erblassers fragen, welche Pflichtteile ihnen zustehen.

 

Rz. 96

Art. 21 Abs. 1 EUErbVO verweist für die Erbfolge auf das thailändische Aufenthaltsrecht des Erblassers. Das thailändische internationale Erbrecht unterscheidet zwischen beweglichem und unbeweglichem Nachlass.

Für das bewegliche Vermögen gilt das Wohnsitzrecht des Erblassers, für die Immobilien gilt das jeweilige Belegenheitsrecht (lex rei sitae). Sofern der letzte Wohnsitz des Erblassers i.S.d. französischen Rechts in Thailand anzusiedeln war, nimmt das thailändische Recht die Verweisung an. Insoweit haben weder Kinder noch Witwe Pflichtteilsrechte.
Eine Rückverweisung auf das deutsche Recht erfolgt aber für das in Deutschland belegene unbewegliche Vermögen (Bürogebäude in Duisburg). Bezüglich dieser Vermögensgegenstände können die Witwe und die drei Kinder Pflichtteilsansprüche gem. § 2303 BGB geltend machen.
Bezüglich des Weinguts in Burgund hingegen erfolgt eine Weiterverweisung auf das französische Recht. Auch diese Verweisung auf das Recht eines weiteren Mitgliedstaates der EU ist entsprechend zu beachten. Daher können die Kinder durch Erhebung der Herabsetzungsklage gegen die testamentarische Erbin drei Viertel des Nachlasses erlangen, während die Witwe insoweit leer ausgeht.[64]
[63] Kritisch z.B. Kegel, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 1987, S. 267 ff., nach dessen Auffassung die Auslegung des ausländischen internationales Privatrechts keine Nachlassspaltung ergibt, wenn das Belegenheitsrecht – wie das deutsche – von der Nachlasseinheit ausgeht; hierzu Schurig, IPRax 1990, 389 ff.
[64] Zu den Pflichtteilsrechten im französischen Recht siehe Länderübersicht Frankreich (§ 19 Rdn 73).

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