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Greift Art. 35 EUErbVO ein, so ist nach überkommener Ansicht in Deutschland vor dem Ausweichen auf das deutsche Recht die Lösung zunächst durch Anpassung des ausländischen Rechts zu suchen, soweit dies sinnvoll möglich ist. Standardlösungen gibt es nicht. Stets sei der "geringste Eingriff" vorzuziehen.[214] Dabei muss man freilich ehrlicherweise anerkennen, dass die Integrität des ausländischen Rechts bei der Anpassung nach den folgenden Regeln mehr verletzt wird, als wenn man es völlig außer Acht lässt. Entscheidend dürfte vielmehr sein, dass sich die Erben und der Erblasser möglicherweise auf die Geltung des ausländischen Rechts verlassen haben und daher deren Erwartungen weitest möglich zu schützen sind.

So erben im Beispiel die deutschen Angehörigen so, als ob sie ebenfalls Moslems wären.
Unehelichen und anderen Kindern steht zumindest wertmäßig der gleiche Anteil an der den Abkömmlingen vorbehaltenen Nachlassquote zu wie ehelichen Abkömmlingen.
Die den Abkömmlingen vorbehaltene Gesamtquote ist bei Geltung islamischen Rechts unter Söhnen und Mädchen gleichmäßig zu teilen.
Schwieriger ist die Bestimmung der Erbquote der Witwe: Soll diese wie ein Witwer oder der Mann wie seine Witwe erben? Das Schrifttum zieht allein die erste Lösung in Betracht.[215] Das Ergebnis ist vertraut, denn es entspricht den Quoten des deutschen BGB. Die Korrektur geht dann nicht zur Lasten des unrechtmäßig privilegierten Ehemannes, sondern allein zu Lasten der Kinder. Man könnte auch die Lösung in der Mitte suchen und jeweils einen Anteil von 3/16 gewähren (materiellrechtliche Lösung).
Fraglich ist auch, wie ein fehlendes Pflichtteilsrecht zu ersetzen ist. Ein fehlender Pflichtteil bedürftiger Angehöriger kann m.E. nicht durch ein volles Pflichtteilsrecht nach deutschem Recht ersetzt werden, denn das Ergebnis soll nicht auf deutschen Standard gebracht, sondern "erträglich" gestaltet werden. Man könnte es aber in freier Rechtsfortbildung durch eine angemessene Unterhaltsrente gegen den Nachlass, in der Höhe beschränkt auf den halben Wert eines gesetzlichen Erbteils, ergänzen.[216] Beschränkt man das Eingreifen des ordre public auf den Fall der Sozialhilfeabhängigkeit oder Bedürftigkeit Hinterbliebener, dürfte eine Unterhaltsrente gegen den Nachlass genügen. Geht man von einer generellen Garantie des Pflichtteils als bedarfsunabhängiger Mindestbeteiligung am Nachlass mit Verfassungsrang aus, so muss man auf das deutsche Pflichtteilsrecht zurückgreifen.[217]
[214] Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 16 VI, S. 538; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36 V, S. 254.
[215] Dörner, IPRax 1994, 35; Erman/Hohloch, Art. 25 EGBGB Rn 8; St. Lorenz, IPRax 1993, 150. Dieses Ergebnis wäre dann korrekt, wenn man zugibt, dass sich aus dem islamischen Erbrecht selbst keine Lösung ergibt und daher der ersatzweise Rückgriff auf das deutsche Recht (§ 1931 BGB) erforderlich sei. Die genannten Literaturstimmen geben dies aber nicht zu.
[216] Vgl. Klingelhöffer, ZEV 1996, 259.
[217] So St. Lorenz, ZEV 2005, 441.

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