Rz. 151

Das auf die Abstammung anwendbare Recht wird auch dann gem. Art. 19 Abs. 1 EGBGB angeknüpft, wenn ausländisches Recht Erbstatut ist (selbstständige Anknüpfung der Vorfrage).[97] Es gilt das am jeweils aktuellen Aufenthalt des Kindes geltende Recht. Das Abstammungsstatut kann also bei Übersiedlung des Kindes in einen anderen Staat wechseln, es ist wandelbar. Um eine Feststellung der Abstammung zu begünstigen, sieht Art. 19 Abs. 1 EGBGB weitere Anknüpfungspunkte vor, die nebeneinander zur Anwendung gelangen (alternative Anknüpfung).[98] Auf diese Weise kann es dazu kommen, dass einander widersprechende Vaterschaftsvermutungen zugleich zum Tragen kommen.[99] Wie in diesen Fällen der Widerspruch aufzulösen ist – m.a.W. welcher vaterschaftsbegründenden Regelung in diesem Fall der Vorrang zu geben ist –, ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Die Lehre und die Rechtsprechung haben hier verschiedene Ansätze formuliert. Eine eindeutige Entscheidung hat nun der BGH durch Urteil vom 19.7.2017 getroffen: Danach gilt der Grundsatz der Priorität. Die Vaterschaft, die in einer der in Art. 19 EGBGB bezeichneten Rechtsordnungen zuerst begründet worden ist – regelmäßig die gesetzliche Abstammungsvermutung – hat danach Vorrang vor nach der Geburt vorgenommenen Vaterschaftsanerkennungen.

 

Rz. 152

Da das deutsche Kollisionsrecht seit der mit dem 1.7.1998 in Kraft getretenen Reform des Kindschaftsrechts[100] nicht mehr zwischen ehelicher und unehelicher Abstammung unterscheidet, besteht für die Fälle, in denen das ausländische Erbstatut – wie z.B. das japanische Erbrecht – eine unterschiedliche Behandlung vorsieht, eine Regelungslücke. Umstritten ist, wie hier nun zu verfahren ist. Nach einer Ansicht soll die eheliche bzw. uneheliche Abstammung unmittelbar dem Erbstatut entnommen werden, also dem (Sach-)Kindschaftsrecht des Staates, dessen Recht die Erbfolge unterliegt. Lediglich sich hier ergebende weitere Vorfragen, wie z.B. das Bestehen der Ehe, seien nach deutschem IPR anzuknüpfen.[101] Nach anderer, derzeitig wohl überwiegender Ansicht soll das auf die Ehelichkeit anwendbare Recht nach dem IPR des Staates, dessen Recht Erbstatut ist, angeknüpft werden (unselbstständige Vorfragenanknüpfung).[102] Weitere Vorfragen, wie z.B. das Bestehen einer Ehe der Mutter, seien allerdings selbstständig nach deutschem IPR anzuknüpfen.

[97] So bislang in Deutschland die h.M.: Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rn 592; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 9, S. 373 Anders nun für die Vorfrage im Rahmen der EUErbVO Weber, in: Dutta/Weber, IntErbR, Einl. Rn 100 m.w.N.
[98] Die alternative Anknüpfung zur Begünstigung der Wirksamkeit eines Rechtsverhältnisses findet sich auch in Art. 27 Abs. 1 EUErbVO wieder.
[99] Überblick über die bisher vertretenen Ansichten hierzu in: Süß/Ring, Eherecht in Europa, 3. Aufl. 2017, Teil 2 Rn 409 m.w.N.
[100] BGBl 1997 I, S. 2942.
[101] Dörner, in: FS Henrich, 2000, S. 119, 126; Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rn 601; Looschelders, Art. 19 EGBGB Rn 5.
[102] Palandt/Thorn, Art. 19 EGBGB Rn 8; Erman/Hohloch, Art. 19 EGBGB Rn 24; Henrich, FamRZ 1998, 1405; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 48 IV 1 b, S. 406; MüKo-BGB/Helms, 6. Aufl. 2015, Art. 19 EGBGB Rn 1.

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