Rz. 66
Art. 912 c.c. definiert die Pflichtteile als die den Pflichtteilsberechtigten frei von Belastungen vorbehaltenen Güter und Rechte (réserve légale, Pflichtteilsrechte). Freilich gilt dies seit der Reform 2006 nur noch sehr eingeschränkt: Der Pflichtteilsberechtigte kann auch dann, wenn er durch Geltendmachung der Herabsetzungsklage seine dingliche Beteiligung am Nachlass erreicht hat, vom testamentarisch bzw. durch Schenkung Begünstigten keinen Anteil am Nachlass (pars bonorum = réduction en nature), sondern nur einen Ausgleich in Geld (réduction en valeur) verlangen. Der Pflichtteil darf nicht mit der Testamentsvollstreckung (Art. 1030 c.c.) oder der Nacherbfolge (Art. 1054 c.c.) belastet werden. Der pflichtteilsberechtigte Vorerbe kann daher über die ihm zugewandten Gegenstände durch Schenkung oder Testament ohne Beschränkung verfügen, Art. 1059 c.c. Voraussetzung für die Entstehung des Pflichtteilsrechts ist, dass der Betroffene zur gesetzlichen Erbfolge berufen wäre und dass er die Erbschaft angenommen hat. Der verbleibende Teil des Vermögens stellt den verfügbaren Nachlass (quotité disponible) dar, über den der Erblasser durch Schenkungen unter Lebenden und Vermächtnisse verfügen kann, Art. 912 Abs. 2 c.c.
Rz. 67
Pflichtteilsberechtigt sind die Abkömmlinge des Erblassers. Sind keine Abkömmlinge vorhanden, kam nach altem Recht ein Pflichtteil der Aszendenten in Betracht. Der Pflichtteil der Aszendenten ist durch die Streichung von Art. 914 c.c. im Rahmen der Erbrechtsreform 2006 beseitigt worden. Sie können, wenn der Erblasser keine Abkömmlinge hinterlässt, gem. Art. 738–2 Abs. 1 c.c. allenfalls die von ihnen dem Erblasser geschenkten Güter zurückverlangen (droit de retour légal).
Rz. 68
Die Reform von 2001 verschaffte dem Ehegatten – und das gilt in gleicher Weise für den Partner einer in Frankreich seit 2013 möglichen gleichgeschlechtlichen Ehe – erstmalig ein Pflichtteilsrecht schon einmal für den Fall, dass der Erblasser weder Abkömmlinge noch Aszendenten hinterlassen hatte – also keine pflichtteilsberechtigten Verwandten – und der Ehegatte gem. Art. 757–2 c.c. gesetzlicher Alleinerbe wäre. Die Reform von 2006 gab den Pflichtteil der Aszendenten auf. Gem. Art. 914–1 c.c. hat der Ehegatte also nun einen Pflichtteil i.H.v. einem Viertel des Nachlasses, wenn der Erblasser keine Abkömmlinge hinterlässt und die Ehe nicht geschieden ist. Die bislang bestehenden weiteren Bedingungen, dass der überlebende Ehegatte vom Erblasser nicht schuldig von Tisch und Bett getrennt worden ist und der überlebende Ehegatte keine Klage auf Trennung oder Scheidung erhoben hat, sind durch das Reformgesetz 2006 gestrichen worden. Es bleibt aber dabei, dass der Ehegatte dann, wenn er dem Erblasser Kinder geboren hat oder dieser Kinder aus einer anderen Beziehung hinterlässt, keinen Pflichtteil geltend machen kann.
Rz. 69
Im Fall der einverständlichen Trennung von Tisch und Bett können die Eheleute gem. Art. 301 c.c. auch auf die Rechte aus Art. 756–757–3 cc. und aus Art. 764–766 c.c. verzichten.