Rz. 256
Das neuseeländische internationale Erbrecht entspricht weitgehend dem englischen Kollisionsrecht (siehe Rdn 110 ff.). Allerdings wird im neuseeländischen IPR die erbrechtliche Nachlassspaltung wie in Australien auch auf die family provision erstreckt. Eine Beschränkung der family protection auf Erbfälle nach einem Erblasser mit letztem domicile im Inland kennt das neuseeländische Recht daher nicht. Vielmehr können Klagen auf family protection in Neuseeland auch dann erhoben werden, wenn der mit domicile im Ausland verstorbene Erblasser dort unbewegliches Vermögen hinterlassen hat.
Rz. 257
Pflichtteile ergeben sich aus dem Family Protection Act 1955 für den Ehegatten, die Kinder und Enkel sowie – falls sie vom Erblasser bis zu seinem Tode Unterhalt erhielten – Stiefkinder und Eltern. Dem Ehegatten gleich steht der Partner aus einer noch beim Tode bestehenden verschieden- oder gleichgeschlechtlichen faktischen Lebensgemeinschaft (de facto partner, Sect. 4A Family Protection Act 1955) oder aus einer civil union – also dem neuseeländischen Gegenstück zur eingetragenen Lebenspartnerschaft. Das System der family protection ist weitgehend der family provision des englischen Rechts vergleichbar. Bei Ehegatten ergibt sich jedoch ein wesentlicher Unterschied zum englischen System daraus, dass diese den in England nur bei Scheidung entstehenden Anspruch auf "Teilung des ehelichen Vermögens" auch im Fall der Auflösung der Ehe durch Tod geltend machen können. Durch ausdehnende Auslegung der gesetzlichen Regeln gewähren die Gerichte auch erwachsenen und wirtschaftlich eigenständigen Kindern des Erblassers eine Zahlung – sollte die Verweigerung nicht ausnahmsweise durch deren Verhalten gerechtfertigt sein. Das Gericht entscheidet über die Klage eines im Testament vernachlässigten Erben nach seinem Ermessen. Die Frist für die Geltendmachung einer entsprechenden Klage beträgt zwölf Monate seit Bewilligung des grant of administration für den Nachlassverwalter in Neuseeland.
Durch Urteil vom 20.6.2023 hat nun der Supreme Court entschieden, dass ein entsprechender güterrechtlicher Ausgleich nach Auflösung eines 15-jährigen Zusammenlebens auch von der Ehefrau gegen eine nichteheliche Lebensgefährtin geltend gemacht werden kann, die mit dem Ehemann und der Ehefrau in "polyamorer Dreiecksbeziehung" gelebt hat. Konsequent weitergedacht müsste diese Entscheidung zur Folge haben, dass auch dann, wenn die Dreiecksbeziehung nicht durch Trennung, sondern durch Tod eines der Beteiligten endet, beide überlebende "Partner" ein Erbrecht bzw. family protection geltend machen können müssten.