Rz. 273
Erb- und Pflichtteilsrechte im eigentlichen Sinne stehen allein den Kindern bzw. bei deren Vorversterben den weiteren Abkömmlingen zu, Art. 4:63 B.W. Die Höhe der Forderung entspricht der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Berechnungsgrundlage ist allerdings nicht der reale Nachlass, sondern ein fiktiver Nachlass, welcher durch die hinzurechnungspflichtigen Schenkungen ergänzt wird. Diese Pflichtteilsergänzung erfasst die Schenkungen des Erblassers an seine Kinder und sonstige Schenkungen, soweit sie innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Erbfall vorgenommen worden sind. Gleiches gilt für Schenkungen, bei denen sich der Erblasser den freien Widerruf oder den Nießbrauch an der geschenkten Sache vorbehalten hat, Art. 4.67 B.W. Ehegattenschenkungen bleiben außer Betracht, wenn die Eheleute in Gütergemeinschaft gelebt haben. Ein pflichtteilsberechtigter Abkömmling hat sich auf den Pflichtteil alles anrechnen zu lassen, was er bereits durch Schenkung oder aufgrund Erbfolge vom Erblasser empfangen hat.
Rz. 274
Das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge wird durch das "besondere gesetzliche Erbrecht des überlebenden Ehegatten" weitgehend ausgehöhlt. Der Erblasser kann diese Begünstigung des Ehegatten noch ausweiten, indem er testamentarisch die Gestaltungsrechte der Kinder gegenüber dem überlebenden Ehegatten (siehe Rdn 265) einschränkt oder ganz ausschließt, die Verzinsung des Geldanspruchs ausschließt etc. Darüber hinaus kann der Erblasser seinen Ehegatten zum Erben einsetzen und anordnen, dass die Pflichtteilsansprüche der Kinder wie bei Eintritt des besonderen gesetzlichen Erbrechts der Ehegatten nicht vor Ableben des überlebenden Ehegatten fällig werden.
Rz. 275
Diese schwache Position wird durch "pflichtteilsähnliche Rechte" der Kinder korrigiert. So kann ein Kind des Erblassers einen einmaligen Geldbetrag beanspruchen, soweit dieser für den Unterhalt erforderlich ist und das Kind noch nicht das Alter von 21 Jahren erreicht hat, Art. 4:35 B.W. Dies gilt allerdings dann nicht mehr, wenn und soweit der überlebende Ehegatte oder ein anderer Erbe kraft Gesetzes für diesen Unterhalt aufkommen muss.
Des Weiteren haben Kinder, Stiefkinder oder Pflegekinder des Erblassers, die in dessen Haushalt oder Betrieb mehrere Jahre ohne angemessene Entlohnung gearbeitet haben, im Erbfall Anspruch auf eine billige Vergütung, Art. 4:36 B.W.
Rz. 276
Ein Pflichtteilsverzicht ist nicht vorgesehen. Auch die Pflichtteilsentziehung ist dem niederländischen Recht nicht bekannt. Der Abkömmling verliert sein Pflichtteilsrecht also erst dann, wenn ein Fall der Erbunwürdigkeit i.S.v. Art. 4:3 B.W. vorliegt.