Rz. 409
Gesetzlicher Güterstand ist die Errungenschaftsbeteiligung. Gem. Art. 196 f. ZGB teilt sich das Vermögen der Eheleute jeweils in die in die Ehe eingebrachten Vermögensgegenstände und deren Surrogate (Eigengut) und in die während der Ehe entgeltlich erworbenen Vermögenswerte (Errungenschaft). Hierbei bleibt jeder der Ehegatten Eigentümer seines Vermögens, das er selbstständig verwaltet. Ein gemeinschaftliches Vermögen wie bei der Errungenschaftsgemeinschaft wird nicht gebildet. Bei Beendigung des Güterstands wird der Nettowert der Errungenschaft jedes Ehegatten (Vorschlag) ermittelt. Der Überschuss des Vorschlags eines Ehegatten wird hälftig geteilt, Art. 215 ZGB. Eine positive bzw. negative Wertentwicklung der zum Eigengut gehörenden Vermögensgegenstände bleibt dagegen unberücksichtigt.
Rz. 410
Erbrechtliche Relevanz erhält die Errungenschaftsbeteiligung auf zweierlei Weise: Zunächst ist der Vorschlag im Erbfall auch dann zu teilen, wenn der überlebende Ehegatte die höhere Errungenschaft erzielt hat, Art. 215 ZGB. Ggf. muss er also einen Ausgleich in den Nachlass zahlen. Zum anderen kann für die Auflösung der Ehe durch Tod mittels Ehevertrages von dem Grundsatz der hälftigen Teilung abgewichen werden, Art. 216 ZGB. Möglich ist die Vereinbarung ungleicher Teilungsquoten, die Zuweisung bestimmter Wertbeträge an den Überlebenden, ein einseitiger Verzicht etc. So kann äußerstenfalls dem überlebenden Ehegatten der gesamte Vorschlag zugewiesen werden, so dass lediglich das Eigengut des Verstorbenen in den Nachlass fällt und der Überlebende selbst dann einen güterrechtlichen Ausgleichsanspruch hat, wenn er den höheren Vermögenszuwachs während der Ehe erzielt hat. Auch ist ein Verzicht auf die Ausgleichsforderung für den Fall des Vorversterbens möglich, so dass jedenfalls der Überlebende nicht in den Nachlass zahlen muss.
Rz. 411
Anders als die stipulations de parts inégales oder die clause d’attribution intégrale im französischen Recht (siehe Rdn 90) gelten derartige Vereinbarungen im schweizerischen Recht – wenn für den Fall der Auflösung des Güterstands durch Tod getroffen – in der Schweiz allerdings als unentgeltliche Verfügung, also als Schenkung von Todes wegen. Die Vereinbarungen unterliegen daher grundsätzlich der Herabsetzung durch die beeinträchtigten Pflichtteilsberechtigten. Als Schenkung von Todes wegen wären sie noch vor Lebensversicherungen, zeitlich vorangehenden letztwilligen Verfügungen sowie Verfügungen unter Lebenden herabzusetzen. Nur dann, wenn eine entsprechende Begünstigung auch für den Fall der Auflösung des Güterstands zu Lebzeiten (also die Scheidung) getroffen wurde, gilt sie als Zuwendung unter Lebenden und geht damit bei der Herabsetzung allen letztwilligen Verfügungen und den nachfolgenden Verfügungen unter Lebenden nach. Art. 216 Abs. 2 ZGB enthält einen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten der Pflichtteilsrechte nicht gemeinsamer Kinder und deren Nachkommen. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass gemeinsame Kinder keine Herabsetzungsklage erheben können, insoweit also die Aushöhlung ihres Pflichtteils durch die güterrechtliche Konstruktion dulden müssen.
Rz. 412
Haben die Eheleute Gütergemeinschaft vereinbart, können sie sich gem. Art. 222 ZGB in entsprechender Weise gegenseitig durch Ehevertrag einen über die gesetzliche Hälfte des Gesamtgutes hinausgehenden Anteil am Gesamtgut, ja sogar das Gesamtgut in toto, zuweisen. In den Nachlass fällt dann nur noch das Wenige, was von Gesetzes wegen zum Eigengut gehört oder vertraglich als solches vereinbart wurde. Eine derartig weitgehende Aushöhlung der Noterbrechte ist jedoch gar nicht "pflichtteilsfest", Art. 241 Abs. 3 ZGB; die Pflichtteilsrechte der Abkömmlinge bleiben unberührt.
Rz. 413
Daraus ergibt sich für eine maximale Begünstigung des überlebenden Ehegatten auf güterrechtlichem Wege folgende Formel: Sind nur gemeinsame Kinder vorhanden, ist die Errungenschaftsbeteiligung mit Zuweisung des Gesamtgutes möglich; sind also nichtgemeinsame Kinder vorhanden, scheidet die güterrechtliche Methode zumindest in Bezug auf deren Pflichtteilsrechte aus.
Rz. 414
Praxishinweis
Nicht zuletzt wegen der im Vergleich zum deutschen Recht seit der schweizerischen Pflichtteilsreform geringeren Pflichtteilsquoten der Kinder erweist sich damit das schweizerische Recht als im Vergleich zum deutschen u.U. besser geeignet, eine Maximalbegünstigung des überlebenden Ehegatten zu erreichen. Die Vorschriften in Art. 216 Abs. 2 ZGB und Art. 241 Abs. 3 ZGB sind ungeachtet ihres Standortes im Güterrecht erbrechtlich zu qualifizieren, da sie die Noterbrechte bestimmter Angehöriger zugunsten des überlebenden Ehegatten zurücknehmen. Erb- und Güterstatut müssen daher zusammenpassen. Deutsches Güterrecht erlaubt keine von der hälftigen Teilung abweichenden Quoten, deutsches Erbrecht lässt die Pflichtteilsansprüche hiervon unberührt. Daher darf deutsches Recht weder Güter- noch Erbstatut sein.
Bei der Bestimmung des Güterstatuts ist aus schweizerischer Sich...